Die Kunststoffwirtschaft muss ­zirkulär werden

29. Juli 2021: Der »Earth Overshoot Day« hat uns gezeigt, dass die Menschheit wieder einmal viel zu früh alle natürlichen Ressourcen aufgebraucht hat, die unser Planet innerhalb eines Jahres wiederherstellen kann. Wenn eine weit entfernte Zivilisation auf uns blicken würde, so veranschaulichen es die Klimaforscher Johan Rockström und Owen Gaffney, dann würde sie feststellen, dass die Erde seit etwa 70 Jahren aus dem Tritt geraten ist. Aliens müssten zu dem Schluss kommen, dass dem Planeten eine »katastrophale Erschütterung« widerfahre. Die beiden Forscher meinen aber, dass die Erde in einem riesigen Kraftakt doch noch zu stabilisieren sei. Demnach könnte das natürliche Ökosystem in 30 Jahren sogar robuster und auch wieder ausgedehnter sein als heute. Eine entscheidende Rolle kann dabei – mit politischem Rückenwind – die Kreislaufwirtschaft spielen.

Anlass zur Hoffnung geben drei Faktoren, die sich gegenseitig verstärken und so den Stein ins Rollen bringen. Erstens gibt die Politik eine klare Richtung vor: Immer mehr Länder, darunter sehr einflussreiche wie die USA und die Staaten der Europäischen Union, wollen bis zur Jahrhundertmitte klimaneutral werden oder denken zumindest darüber nach. China hat sich dieses Ziel bis 2060 gesetzt. Zusammen würde das bereits mehr als 70 Prozent der globalen Treibhausgasemissionen umfassen.

Reallabore können dabei helfen, technologische Erfolge rasch in den Industriemaßstab zu katapultieren.

Zweitens bewegt sich die Gesellschaft: War die Jugend vor einigen Jahrzehnten noch eher unideologisch, ist sie heute hoch inspiriert. Und auch in der Mitte unserer (Wohlstands-) Gesellschaft scheint das Thema Ökologie richtig angekommen zu sein. Drittens ist die Wirtschaft zunehmend auf Nachhaltigkeitskurs. Hier gehen ideelle und wirtschaftliche Motive Hand in Hand: Angesichts des ausgeprägten Bedarfs an nachhaltig hergestellten Produkten und Lösungen winkt ein Billionenmarkt. Hinzu kommen politische Vorgaben wie nationale Klimaziele und tendenziell steigende CO2-Preise. Auch seitens der Investoren kommt mehr Druck: Immer mehr Anleger sind auf grüne Investments aus.

Vor diesem Hintergrund arbeiten Wirtschaft und Wissenschaft intensiv an der Entwicklung klimafreundlicher Technologien. Unlängst hat Bill Gates aufgezeigt, wie viele emissionsarme Lösungen es bereits gibt, die auch von den Kosten her konkurrenzfähig sind. Gleichzeitig wissen wir, welche Technologien dringend weiterentwickelt und einsatzbereit werden müssen, um die Welt bis zur Jahrhundertmitte klimaneutral zu machen – von synthetischen Kraftstoffen über  stresstolerante Nutzpflanzen bis hin zu fossilen Hochleistungsmaterialien, etwa Kunststoffen aus alternativen Kohlenstoffquellen. Und auch über die Kernenergie sollte man zumindest nachdenken. 

Die Kreislaufwirtschaft als Zündfunke

Doch Technologie, Absichten und Engagement allein reichen nicht. Wir brauchen auch ein ideelles Koordinatensystem. Einen gemeinsamen Fluchtpunkt, auf den unser Denken und Handeln zuläuft. Die große Idee, die einigende Vision, die uns mitreißt und motiviert – die Politik, die Wirtschaft, die Gesellschaft als Ganzes und jedes einzelne Individuum. Diese einigende Vision ist für mich das Konzept der Kreislaufwirtschaft. Sie bedeutet eine fundamentale Transformation: Wir müssen der überkommenen Linearwirtschaft mit ihren Konsum- und Produktionsmustern, die auf einmalige Nutzung ausgerichtet sind, den Rücken kehren. Herstellen, verbrauchen, wegwerfen – das bisherige Prinzip führt nur immer tiefer in die Sackgasse. Ich bin überzeugt: Mit konsequenter Kreislaufführung wird es uns gelingen, wirklich nachhaltige Verhaltens-, Konsum- und Produktionsweisen einzuführen.

Der Zirkularitätsgedanke gilt vor allem für die energie- und CO2-intensiven Grundstoffindustrien. Die Hersteller von Glas, Papier, Aluminium, Zement, Stahl und Kunststoffen müssen ihre Produktion auf Treibhausgasneutralität trimmen. Das heißt Abschied nehmen von fossilen Rohstoffen. Wie am Beginn des Ölzeitalters vor gut 150 Jahren steht die Industrie damit vor einer regelrechten Rohstoffrevolution.

Kunststoffbranche besonders herausgefordert

Auf die Produktion von Kunststoffen entfallen derzeit schätzungsweise sechs Prozent des globalen Erdölverbrauchs. Als zukunftsweisender Werkstoff wird Plastik künftig noch sehr viel mehr benötigt als heute. Denn hochwertige Polymere werden nicht nur praktisch überall im täglichen Leben eingesetzt. Sie sind auch unabdingbar, um die zahlreichen globalen Herausforderungen zu bewältigen, mit denen die Menschheit konfrontiert ist: Hunger und Armut bekämpfen, bezahlbare und saubere Energie bereitstellen, die Wohnverhältnisse der Menschen verbessern und neue Mobilitätsformen entwickeln. Und das sind nur einige der Großaufgaben. Experten rechnen daher damit, dass sich die Kunststoffproduktion bis in die 2050er-Jahre vervierfachen könnte – mit entsprechenden Folgen für den Ölbedarf.

Damit die Kunststoffwende gelingt, gilt es, das Sammeln, Sortieren und Trennen von ausgedientem Plastik zu verbessern, um es zielgerichtet recyceln zu können.

Treibhausgasneutralität bekommen wir in solch einem Szenario nicht hin. Daher müssen wir das Öl als Rohstoff ersetzen und den Kohlenstoff, den wir zur Plastikherstellung brauchen, aus umweltverträglichen Quellen ziehen. Ein Gedanke, den vor mehr 40 Jahren bereits Primo Levi ausführte. In seinem Werk »Das periodische System« feiert der Chemiker und Schriftsteller den Kohlenstoff nicht nur als »Schlüsselelement allen Lebens«. Er regt auch an, dass sich die Menschheit das Prinzip der Photosynthese und der Kreislaufführung des Kohlenstoffs zunutze machen sollte.

Biomasse und CO2 als Alternativen zum Erdöl

Quellen für erneuerbaren Kohlenstoff sind durchaus vorhanden – und finden auch zunehmend Verwendung. Pflanzliche Biomasse etwa hat sich als Alternative zum Öl bewährt. Das durchschnittliche jährliche Produktionswachstum biobasierter Kunststoffe liegt weltweit inzwischen bei acht Prozent – weitaus mehr als der gesamte Zuwachs an Polymeren.

Für viele Kunststoffe ist chemisches Recycling die einzig mögliche Methode der Wiederverwertung.

Technologisch ist es zum Beispiel in den vergangenen Jahren gelungen, den Kohlenstoff in der wichtigen Grundchemikalie Anilin komplett aus Pflanzen zu gewinnen, genauer gesagt aus unraffiniertem Rohrzucker, der wiederum aus Futtermais, Stroh oder Holz stammt. Nach dem Durchbruch im Labor wird nun daran gearbeitet, das neue Verfahren in den großtechnischen Maßstab zu überführen. Die industrielle Herstellung von biobasiertem Anilin wäre ein absolutes Novum im Chemie- und Kunststoffsektor.

Als weitere Kohlenstoffquelle und Alternative zum Öl kommt zunehmend auch CO2 infrage. Carbon capture and usage (CCU) ermöglicht die Abscheidung von CO2 vor allem aus Verbrennungsabgasen und dessen anschließende Verwendung. In der Kunststoffindustrie kommen immer mehr mit CO2 hergestellte Produkte auf den Markt: Schaumstoffe für Matratzen und Autositze etwa oder Kleber für Sportböden.

Den »Klimakiller« als Ersatz für Erdöl zu nutzen klingt zwar einfach, ist aber alles andere als trivial. Denn eigentlich braucht es viel zu viel Energie, um das träge CO2 mit anderen Stoffen zu verbinden. Erst ein Durchbruch in der Katalyseforschung hat dafür gesorgt, dass sich der Energieaufwand in Grenzen hält und die chemischen Reaktionen ökologisch und ökonomisch sinnvoll sind. Auf diese Weise lassen sich nun bestimmte Plastikkomponenten, sogenannte Polyole, herstellen, die bis zu 20 Prozent CO2 enthalten – das ist der Erfolg einer engen Kooperation zwischen der RWTH Aachen und Covestro.

Abseits der Kunststoffindustrie wird die Palette an CO2-basierten Produkten ebenfalls immer breiter und reicht von Reinigungsmitteln über zementfreien Beton bis hin zu synthetischem Kerosin. Weltweit verwenden bereits mindestens 70 Firmen beziehungsweise Projekte das Treibhausgas als Rohstoff – Tendenz stark steigend. Auch die Politik hat das Potenzial von CCU erkannt. So fördert etwa die Bundesregierung seit Langem zahlreiche entsprechende Forschungsvorhaben, und auch im »European Green Deal« spielt das Thema eine Rolle.

Vor diesem Hintergrund erweist sich CCU auch ­industrieübergreifend als Innovationsmotor. Im klimaintensiven Stahlsektor etwa wird die globale Produktion bis zur Mitte dieses Jahrhunderts voraussichtlich noch einmal um die Hälfte zunehmen. Momentan werden bei der Herstellung einer Tonne Stahl etwa 1,7 Tonnen CO2 freigesetzt. Die Branche arbeitet aber nicht nur an neuen Verfahren, damit diese Emissionen gar nicht mehr entstehen. Ein Konsortium unter Führung von thyssenkrupp beispielsweise zeigt im Projekt Carbon2Chem auch, dass sich das Abgas aus den Fabrikschloten recyceln und für die Chemieproduktion nutzen lässt.

Recycling von Kunststoffabfällen fördern

Recycling ist die dritte große Möglichkeit, fossilfrei zu produzieren. Nicht nur Abgase, sondern auch jede Art von Produkten sollten am besten gar nicht erst zu Abfall werden – der Kerngedanke der Kreislaufwirtschaft, bei der wir allerdings noch sehr am Anfang stehen. Derzeit ist die gesamte Weltwirtschaft nur zu 8,6 Prozent zirkulär: Laut »Circularity Gap Report 2020« wurden zuletzt nur 8,6 Milliarden der gut 100 Milliarden Tonnen an Ressourcen, die dem globalen Wirtschaftssystem zugeführt wurden, recycelt.

Die industrielle Herstellung von biobasiertem Anilin wäre ein absolutes Novum im Chemie- und Kunststoffsektor.

Aufgeschlüsselt auf Länder wie Deutschland, sind die Quoten für das Abfallrecycling natürlich viel höher. Hier wurden 2018 rund 70 Prozent des Verpackungsmülls recycelt. Damit liegt Deutschland im europäischen Vergleich im oberen Fünftel. In vielen anderen Gegenden der Welt, vor allem im globalen Süden, ist hingegen noch Pionierarbeit zu leisten, um Entsorgungssysteme und Abfallmanagement auf- und auszubauen. Zudem müssen die Menschen für das Thema sensibilisiert und auch in die Lage versetzt werden, bei sich vor Ort etwas zu ändern.

Mit Blick auf Kunststoffe hat sich ein weltweites Bündnis von mehr als 70 Firmen aus der Chemieindustrie und anderen Sektoren dieser Aufgabe angenommen: die Alliance to End Plastic Waste, der auch zahlreiche deutsche Unternehmen angehören. Sie will unter anderem beim Aufbau von Infrastruktur, der Entwicklung von Recyclingtechnologien und beim Reinigen von Flüssen helfen, die Plastik ins Meer spülen.

Wir müssen das Öl als Rohstoff ersetzen und den Kohlenstoff, den wir zur Plastikherstellung brauchen, aus umweltverträglichen Quellen ziehen.

Speziell Kunststoffabfall wird derzeit weltweit nur zu rund zwölf Prozent wiederverwertet oder recycelt. In Deutschland ist das Bild wiederum erfreulicher. Hier lag die Quote laut Umweltbundesamt 2019 bei mehr als 46 Prozent. Diese Zahl bezieht sich allerdings auf die Menge an Kunststoffen, die bei den Recyclingunternehmen ankommt, nicht auf den recycelten Output. Hier ist die Lage anders: Nur etwa 16 Prozent des Plastikabfalls werden tatsächlich zu Rezyklat verarbeitet. Der Rest besteht vielfach aus verschiedenen Kunststoffarten oder ist zu stark verschmutzt und wird deshalb entweder zur Energiegewinnung verbrannt oder ins Ausland exportiert.

Doch daran soll sich etwas ändern. Durch das seit 2019 geltende Verpackungsgesetz werden die vorgeschriebenen Recyclingquoten für Plastikverpackungen in Deutschland künftig deutlich angehoben – von 58,5 Prozent im Jahr 2019 auf 63 Prozent bis 2022. Die Industrie arbeitet intensiv an vielversprechenden neuen Technologien, um das Kunststoffrecycling zu unterstützen.

Chemisches Recycling als Zauberformel

Indem wir das Rohstofflager Abfall durch Recycling nutzen, ersetzen wir nicht nur primäre fossile Rohstoffe in der Produktion. Gleichzeitig lassen sich auch die mit CO2-Emissionen verbundene Abfallverbrennung und die umweltschädliche Deponierung vermeiden. Umfassendes Recycling kann damit entscheidend zur Klimaneutralität und zum Schutz natürlicher Ressourcen und der Umwelt beitragen.

Das durchschnittliche jährliche Produktionswachstum biobasierter Kunststoffe liegt weltweit inzwischen bei acht Prozent – weitaus mehr als der gesamte Zuwachs an Polymeren.

Insbesondere gilt es, das noch junge chemische Recycling auszubauen. Für viele Kunststoffe ist es die einzig mögliche Methode der Wiederverwertung. Denn bei stark verschmutztem und nicht sortenreinem Abfall stößt das herkömmliche mechanische Recycling an seine Grenzen. Die überwinden wir, wenn wir den Plastikmüll chemisch auflösen, in seine Moleküle zerlegen und aus diesen wiederum neue Molekülketten und neue Kunststoffe bilden. So kann man jedes Produkt in ein beliebiges anderes verwandeln – eine wahre Zauberformel. Die Pflanzenwelt macht es uns seit Hunderten von Jahrmillionen vor.

Nur mit chemischem Recycling bekommen wir es hin, Plastik im großen Stil zu recyceln. Die Kunststoffhersteller sehen das Potenzial und lenken ihre Investitionen zunehmend in diese Richtung – bis 2030 sind auf europäischer Ebene bereits Vorhaben im Gesamtumfang von mehr als sieben Milliarden Euro geplant.

Schon heute wird zum Beispiel der gängige Kunststoff Polyethylenterephthalat (PET) in großem Maßstab mittels chemischer Prozesse zur Herstellung von Dämmstoffen wiederverwertet. Und auch an anderen Verfahren wird weiter geforscht. Erste Erfolge sind bereits sichtbar. So lassen sich etwa Matratzen aus Polyurethan-Weichschaum inzwischen auf diesem Wege wiederverwerten. Das entsprechende neue Verfahren wird derzeit für den industriellen Einsatz erprobt.

Energiewende muss Fahrt aufnehmen

Für eine ressourceneffiziente zirkuläre Welt braucht es aber noch mehr: nämlich sehr viel Energie aus erneuerbaren Quellen. Johan Rockström und Owen Gaffney bringen es in »Breaking Boundaries« auf den Punkt: »electrify everything«. Gemeint sind energieintensive Bereiche wie Transport und Verkehr, Bauen und Wohnen sowie die Industrie. Nur mit Grünstrom können wir hier Klimaneutralität erreichen.

In der Kunststoffindustrie kommen immer mehr mit CO2 hergestellte Produkte auf den Markt.

Die Chemie- und Kunststoffindustrie in Deutschland hat sich das ehrgeizige Ziel gesetzt, bis 2050 treibhausgasneutral zu werden. Dafür braucht die Branche ab Mitte der 2030er-Jahre gut 600 Terawattstunden Ökostrom pro Jahr. Das ist mehr, als das gesamte Land – die Fabriken, die Wohnungen, das öffentliche Leben – heute jährlich an Elektrizität verbraucht. Und der Strom muss zudem erschwinglich sein: Die Kilowattstunde darf maximal vier Cent kosten.

Das ist alles nur zu schaffen, wenn die Energiewende in Deutschland deutlich an Fahrt aufnimmt. Momentan hinkt der Ausbau der Erneuerbaren den Klimazielen hinterher. Wir brauchen mehr Wind- und Solarparks, mehr Übertragungsnetze und vor allem mehr Speicherkapazität. Um die fluktuierende Energie aus Wind-, Sonnen- und Wasserkraft zu konservieren, gibt es erfreulicherweise zahlreiche Forschungsbemühungen. So wird etwa im Rahmen der von der Bundesregierung geförderten Kopernikus-Projekte daran gearbeitet, erneuerbaren Strom in Kraftstoffe, Wärme oder chemische Rohstoffe umzuwandeln.

Politischer Rückenwind nötig

Herausforderungen wie die Energiespeicherung und zuverlässige Versorgung mit erneuerbarer Energie sowie auch die Kreislaufwirtschaft insgesamt sind freilich nur im supranationalen Rahmen sinnvoll zu lösen. Hier übt die Politik neuerdings wieder den Schulterschluss: Die G 7 wollen in den 2030er-Jahren die Kohleverstromung weitgehend zurückführen, die G20 die Besteuerung von Emissionen in geordnete Bahnen lenken. Das stimmt zuversichtlich, dass auch die Zirkularität zum gemeinsamen Großprojekt der Menschheit werden kann. Es wird ein riesiges Unterfangen, ein gigantischer Umbau. Immense Summen müssen die Hand genommen werden, mutige Entscheidungen sind zu treffen, Wissenschaft und Ingenieurkunst auf höchstem Niveau sind gefragt, ebenso ein langer Atem und große Zuversicht.

Und die Politik muss für den passenden Rahmen sorgen, um die Kreislaufwirtschaft zu verwirklichen. Wir brauchen etwa Regelungen zur Überbrückung der Ökoaufschläge, also der Kluft zwischen herkömmlichen und klimaneutralen neuen Produktionsverfahren, die meistens teurer sind. Hier bieten sich Differenzverträge an, bei denen der Staat Unternehmen bezuschusst, für die sich Investitionen in klimaschonende Projekte bei niedrigen CO2-Preisen zunächst nicht lohnen.

Die Industrie arbeitet intensiv an vielversprechenden neuen Technologien, um das Kunststoffrecycling zu unterstützen.

Insgesamt sollte die Politik Innovationen fördern und mit einem klugen Instrumentenmix Anreize setzen. Damit die Kunststoffwende gelingt, gilt es, das Sammeln, Sortieren und Trennen von ausgedientem Plastik zu verbessern, um es zielgerichtet recyceln zu können. Allerdings lässt sich in manchen Fällen der Anteil von Rezyklaten nur rein rechnerisch bestimmen. Dazu sollten sogenannte Massenbilanzverfahren akzeptiert werden. Um speziell das wichtige chemische Recycling anzukurbeln, sollte es abfallrechtlich auch explizit als Recycling anerkannt werden. Und Reallabore können dabei helfen, technologische Erfolge auf dem Gebiet rasch in den Industriemaßstab zu katapultieren. Neben dem Rückenwind fürs Recycling brauchen wir weiterhin Unterstützung, um für Biomasse und CO2 als Erdölersatz den Weg zu bereiten.

Bei allem müssen wir uns aber vor einem Übermaß an Regulierung hüten, vor allem auf europäischer Ebene – flankierende Unterstützung ja, aber kein Vorschriftenkorsett, das den Unternehmen die Luft abdrückt. Ganz wichtig ist zudem, die Gesellschaft mitzunehmen. Die Kreislaufwirtschaft darf nicht als Elitenprojekt abgetan werden. Bei den Bürgerinnen und Bürgern darf nicht der Eindruck entstehen, dass sie die Zeche für die Transformation zahlen. Um durchzudringen, braucht es Mut, Fortschrittsoptimismus und einen konstruktiven, sachlichen Dialog im Sinne der »Factfulness« des schwedischen Wissenschaftlers Hans Rosling.

Vor allem aber braucht es Länder, die vorangehen und den Weg weisen. Deutschland sollte dazugehören. Dann haben wir die Chance, zum weltweit gefragten Standort für nachhaltige Technologien zu werden.

Agenda

  • Zügig Reallabore zum chemischen Recycling starten
  • Chemisches Recycling abfallrechtlich als Recycling anerkennen
  • Regelungen zur Überbrückung von Ökoaufschlägen bei der Umstellung auf neue klimaneutrale Produktionsverfahren entwickeln, beispielsweise Differenzverträge
  • Marktanreize für alternative Rohstoffe wie Biomasse und CO2 schaffen
  • Massenbilanzverfahren für den flexiblen Einsatz von nachwachsenden Rohstoffen akzeptieren
  • Vollständige Verknüpfung von Kreislaufwirtschaft und Klimapolitik bis 2030

Dr. Markus Steilemann, ist seit Juni 2018 Vorstandsvorsitzender von Covestro, einem weltweit führenden Anbieter hochwertiger Polymerwerkstoffe mit Sitz in Leverkusen. Geboren 1970 in Geilenkirchen, studierte Steilemann Chemie an der RWTH Aachen und schloss mit der Promotion ab. 1999 begann er seine berufliche Karriere bei Bayer. Ab 2008 bekleidete Steilemann Führungspositionen bei Bayer MaterialScience, der Vorgängergesellschaft von Covestro. 2015 wurde er in den Vorstand des Unternehmens berufen.