Die Stadt der Zukunft ist menschen- und klimagerecht
Städtebau und Mobilität haben zwei Dinge gemeinsam: Sie haben ein langes Gedächtnis, und beide funktionierten in den vergangenen 200 Jahren des rasanten Wachstums von Verkehr und Metropolen immer als Widerspruch. Viele Menschen brauchen Platz und müssen in einer Stadt von A nach B kommen. Zugleich bringt Massenmobilität so viele Räder ins Rollen wie noch nie. Und Hoch- und Tiefbau ermöglichen kühne Großprojekte im Städtebau. Nie war der immer schon rare Platz in Städten knapper und somit teurer, und nie ging es so langsam in den Städten vorwärts: In Berlin beispielsweise stieg der durchschnittliche Quadratmeterpreis für Wohnraum allein 2019 um 7,4 Prozent. Und Autofahrer bewegen sich im dichten Gedränge zu den Hauptverkehrszeiten mit rund 8,2 Stundenkilometern durch die Hauptstadt.
Es scheint, als stecke die moderne Metropole in einer Sackgasse. Neue Lösungen müssen her. Wir brauchen bezahlbaren Wohnraum und innovative Verkehrslösungen, die Mensch und Umwelt entlasten. Die Stadt der Zukunft ist lebenswert und klimagerecht. Bis dahin ist es noch ein weiter Weg. Es ist jetzt an uns, die entscheidenden Weichen zu stellen und die Transformation unserer Städte anzustoßen.
Rasantes Wachstum von Bevölkerung und Verkehr
Berlins bewegte Vergangenheit prägt noch heute das Stadtbild der Metropole. So ist etwa der mittelalterliche Berliner Stadtgraben nach wie vor erkennbar. Als stählerner Lindwurm voller Gleisbogen kurvt er von Ost nach West: Die Berliner Stadtbahn setzte Ende des 19. Jahrhunderts genau dort auf – schlicht aus Praktikabilitäts- und Platzgründen. Ein lebhafter Alltagsverkehr aus neuartigen Trambahnen, mit zahllosen Kutschen, Droschken und Handwagen charakterisierte seinerzeit die Stadt. Kurz darauf sah man auch vermehrt das Automobil auf den Straßen. Dazu kamen schon damals zahllose Pendler, die zu den Fabriken am Ufer von Spree und Landwehrkanal zogen.
Berlin kann zum weltweiten Vorbild einer Stadt neuen Typus werden.
Zwischen 1740 bis 1840 verdreifachte sich die Bevölkerung von 100.000 auf 300.000 Einwohner, ohne größere Flächenentwicklung. In Europa war nur Paris damals größer. Vor allem ab 1870 erlebte Berlin die Initialzündung seines bis heute andauernden, fast schon grenzenlosen Wachstums – als Hauptstadt des jungen deutschen Nationalstaats. Die »Berliner Mischung« – die damalige städtebauliche Version einer aus der schieren Platz- und Expansionsnot geborenen Integration sozialer Schichten innerhalb eines Kiezes – prägt das Berliner Stadtleben bis heute.
Der Gartenarchitekt und Schöpfer der Potsdamer Parklandschaft Peter Joseph Lenné hatte erheblichen Einfluss auf wichtige Sicht- und Straßenachsen Berlins, die auch heute noch überdimensioniert anmuten. Seine Schüler vollendeten die Ost-West-Magistralen mit Großem Stern und Brandenburger Tor. Entlang dieser prachtvollen Alleen ins brandenburgische Umland entstanden hohe Bürgerhäuser. Dahinter kaskadierten Wohnhöfe. Zunehmend wurde das Grün- und Ackerland hinter den Häusern dicht bebaut. Während sich die Fabriken entlang den Mühlen der Spree und der anderen Flüsse sowie schnell gebauten Kanäle ansiedelten. Heute werden Wohnbebauungen im großen Stil ähnlich angelegt: Die Grundrisse der Wohnhöfe kennen ein verkehrsumtostes Außen und ein möglichst intimes, ruhiges Innen, im besten Fall mit Platz für Begegnungen der Nachbarn.
Die Spuren der geteilten Stadt
Wer genau hinschaut oder mithilfe von Google Maps die Draufsicht auf Berlin hat, erkennt noch heute, mehr als 30 Jahre nach dem Mauerfall, den Verlauf der gespenstischen Trennlinie durch die Stadt. Die Teilungsnarbe der Millionenmetropole ist ganz einfach an der Bebauung und vor allem an Verkehrsbauwerken abzulesen. Entweder, weil die einstigen Todesstreifen und Sperrflächen in den 90er-Jahren stürmisch überbaut wurden, wie ums Brandenburger Tor herum oder am Potsdamer Platz. Oder aber, weil sich die Trennung in West und Ost auch an den Stadtbildern der auto- oder fast schon autobahngerechten Stadt ablesen lässt. Die achtspurigen Asphaltschneisen entstanden bei der Neugestaltung des Alexanderplatzes und des Scheunenviertels Ende der 60er-Jahre – Autos gab es in der DDR wenige, aber umso repräsentativere »Hauptstraßen für die Hauptstadt der DDR«. Im Westen der Stadt ist das Spiegelbild dazu das Gebiet zwischen Kurfürstendamm, Kreuzberg und Schöneberg. Dort vermittelt das Stadtbild aufgrund der automobilen Dominanz fast schon ein Gefühl von Brachen. Menschen, die nicht in einem Auto unterwegs sind, sind dort an den Rand gedrängt.
Damit mehr Menschen auf das eigene Auto verzichten und den öffentlichen Nahverkehr nutzen, muss er attraktiver und einfacher werden.
Im Übrigen erkennt man vielfach noch an der Form der öffentlichen Mobilität, ob man sich im ehemaligen Osten oder im Westen aufhält: Die Berliner Straßenbahn verbindet auch heute die östlichen Stadtteile wie Prenzlauer Berg, Friedrichshain oder Weißensee. Im ehemaligen Westen verkehren nach wie vor eher Busse, die die Straßenbahn ab den 50er-Jahren nahezu komplett ablösten. Auch das Netz der U-Bahn ist deutlich westlastig.
Berlin kann die Pionierrolle übernehmen
Die Herausforderungen für die Stadtentwicklung Berlins sind heute groß. Die Infrastruktur ist monumental und marode, der Nachholbedarf ist immens. Schätzungsweise ist Berlin etwa 15 bis 20 Jahre im Verzug. Lange wurde das ausschließlich als Defizit ausgelegt. Es ist jedoch eine große Chance. Berlin kann wie so oft die Pionierrolle übernehmen und Stadtentwicklung unmittelbar mit Nachhaltigkeit zusammendenken. Die autogerechte Stadt Berlin kann zum weltweiten Vorbild einer Stadt neuen Typus werden: einer menschen- und klimagerechten Stadt. Nicht weniger als 15 große Stadtquartiere werden gerade entwickelt. Jedes einzelne davon kann Modellprojekt sein – mit Signalwirkung weit über die Stadtgrenzen hinaus.
Man kann von Anfang an eine »Schwammstadt« planen – mit ganz anderen Oberflächen.
Beton ist ewig. Wer Verkehrs- und Stadtplanung den Anforderungen unserer Zeit anpassen will, braucht einen langen Atem. Die Transformation der Städte im Sinne einer wirklichen Veränderung zum Besseren – eine Transformation, die den Menschen und seine Bedürfnisse in den Mittelpunkt stellt – geht nicht über Nacht. Sie ist letztlich auch ein Verteilungskampf. Es geht um Platz, um Quadratmeter öffentlichen Raums, um Ressourcen und deren Umverteilung.
Beispielhaft ist die Umgestaltung des Molkenmarktes, gleich hinter dem Roten Rathaus von Berlin. Hier läuft die wichtigste Ost-West-Verbindung entlang: Die Bundesstraße 1 durchquert von der Spree bis in Höhe Alexanderplatz tatsächlich eine historische Frühindustriebrache. Nach der Beseitigung der Trümmer des Zweiten Weltkriegs, mehr noch aber nach dem eiligen Zusammenschluss der Ost- und Westverkehrswege nach der Wiedervereinigung wurde dem Verkehr hier eilends Platz geschaffen. Mit diesem Bundesverkehrsprojekt wurde jedoch auch eine autobahngleiche Fahrzeugfrequenz direkt ins Herz der Stadt und in das sanierte Nikolaiviertel geflutet. Dieses Viertel war am Ende der DDR im Jahr 1987 als Konglomerat aus historischen Gebäuden, angepassten Plattenbauten und Fußgängerzonen ein Vorzeigeprojekt der spätsozialistischen Stadtentwicklung.
Innerstädtischen Verkehr entschleunigen und neu aufteilen
Heute steht man vor der Herausforderung, hier im Herzen der Stadt den Straßenraum anders zu verteilen und den reinen Transitverkehr nicht durchs Zentrum rollen zu lassen. Es geht also darum, die Verkehrswege zu verschwenken und auf ein fußgängerfreundliches Tempo inmitten dieses Stadtkerns zu entschleunigen. Konkret gibt es nun aber große Diskussionen um Brücken, die hier die Spree und ihre Kanäle überspannen. Diese sind – wie die Straßeninfrastruktur – dringend sanierungsbedürftig. Der Umbau der Stadt in lebenswerte Räume ist immens zeitaufwendig. Gleichwohl drängt die Stadtverwaltung darauf, die Brücken sofort zu sanieren, weil sie sonst nicht mehr verkehrssicher seien.
Das ist symptomatisch für deutsche Innenstädte: Eine ganze Generation von Verkehrsbauwerken aus den 60er-Jahren wartet dringend auf eine grundlegende Betonsanierung. Für Stadtplaner steht aber nicht allein die Sanierung im Vordergrund, sondern auch der Appell, diese Chance zu nutzen und die Verkehrswege unserer Städte auch zu gestalten: lebenswert, nachhaltig und klimagerecht. Die bloße Sanierung bedeutet Eins-zu-eins-Ersatz und verändert nichts zum Besseren.
Es geht um nichts weniger als um die Gestaltung attraktiver Metropolen für die Menschen, die darin leben. Die autogerechte Stadt ist ein Auslaufmodell. Der öffentliche Raum muss vor allem bürger- und umweltgerecht sein. Wir müssen den innerstädtischen Verkehr und vor allem den Modal Split – also die Verteilung des Verkehrsaufkommens auf verschiedene Verkehrsträger – verändern. Es reicht nicht aus, die vorhandenen Verkehrsschneisen zu sanieren und so den Status quo in unseren Innenstädten buchstäblich ein zweites Mal auf Jahrzehnte hin in Beton zu gießen.
Der schienengebundene Personen- und Güterverkehr ist ein wesentlicher Treiber für eine polyzentrale Entwicklung.
Die Stadtentwicklung steckt demnach in einer Zwickmühle zwischen sofortigen baulichen Erfordernissen und der nachhaltigen Umorganisation von Verkehrsströmen, die einfach längere Fristen und Zeitläufe brauchen. Für die Politik ist das ein Dilemma. Was hält man aus? Welche Folgen zieht welche Entscheidung nach sich? Rückstau gibt es nicht nur bei den Planungen und Planungsschritten, sondern ganz praktisch auch bei den Autokolonnen in der Stadt. Hält man es aus, dass der Verkehr zäh durch unsere Städte fließt, weil wir Spuren reduzieren und punktuell die eine oder andere Verkehrsberuhigung und Umleitung vorziehen? Oder wollen wir so weitermachen wie bisher?
Neue Quartiere konsequent autofrei planen
Auf der »grünen Wiese« ist Stadtentwicklung wesentlich einfacher. Ein Beispiel dafür ist der ehemalige Flughafen Berlin-Tegel. Dort haben wir »nur« die Herausforderung, den Anschluss einer Stadtautobahn an den einstigen Flughafen zu reduzieren – und an diese Flächen heranzukommen. Ansonsten kann man hier ein Quartier von Anfang an konsequent autofrei planen. Wichtig ist, dass man sogenannte Mobilitätshubs an den Rändern aufbaut, die dafür sorgen, dass Bewohner und Güter schnell und umweltfreundlich sowohl hin- als auch wegkommen. Ebenso zentral ist es, das Quartier mit U- und Straßenbahnen und Elektrobussen zu erschließen sowie Waren umweltgerecht zu verteilen.
Auch das wird nicht mehr mit den großen Last- und Lieferwagen passieren, wie sie heute noch unser Stadtbild prägen, sondern mit kleineren Vehikeln wie Elektrobussen und Lastenfahrrädern. Man kann von Anfang an eine »Schwammstadt« planen – mit ganz anderen Oberflächen. Autogerecht ist nicht mehr das städteplanerische Mantra. So entfällt auch die Versiegelung vieler Oberflächen für Straßenraum. Solche Quartiere können grüner werden und damit durchlässiger für Regenwasser. Das ist zum einen besser für die Umwelt, und zum anderen steigt damit die Lebensqualität. Auch eine klassische Blockrandbebauung ist dann nicht mehr nötig. Wenn wir keine Autos mehr haben, müssen die Außenfassaden von Häusern nicht mehr den Straßenlärm abschirmen. Damit lassen sich völlig andere Stadtmuster entwickeln.
Es gibt dann keine Trennung mehr von außen und innen. Kinder und Jugendliche können sich wieder gefahrlos auf der Straße bewegen. Neue Stadtquartiere können von Anfang an inklusiv und barrierefrei geplant werden, sodass sie für alle Menschen lebenswert sind. Nicht nur in puncto Verkehrsplanung können viele Aspekte der Nachhaltigkeit direkt berücksichtigt werden. Beispielsweise lassen sich andere Wohnungsgrundrisse anlegen, in denen Schlafzimmer auch wieder an den Außenfassaden liegen.
Mit der vorhandenen Substanz arbeiten und sich gleichzeitig nachhaltig ausrichten
Wenn wir ein Quartier neu planen, können wir all diese Aspekte berücksichtigen und aufeinander abstimmen. Die Transformation einer Stadt – also das Bauen im Bestand – hat jedoch komplett andere Prämissen. Rückbau ist weder klimagerecht noch nachhaltig. Die Herausforderung besteht darin, mit der vorhandenen Substanz zu arbeiten und sich gleichzeitig konsequent an Nachhaltigkeit auszurichten. Dazu gehören der Schutz und die Erhaltung des Lebensraums. Umwelt- und Klimaschutz sind demnach zentrale Aspekte einer nachhaltigen Transformation unserer Städte. Sie müssen zur obersten Leitschnur unseres Handelns werden. Sind sie es nicht, zahlen wir und folgende Generationen einen hohen Preis. Nicht zuletzt das Bundesverfassungsgericht hat jüngst mit einem Urteil deutlich gemacht, dass Umwelt- und Klimaschutz mit Blick auf die jungen und künftigen Generationen zu gestalten sind.
Eine ganze Generation von Verkehrsbauwerken aus den 60er-Jahren wartet dringend auf eine grundlegende Sanierung.
Der Bezugspunkt kann zudem nicht nur die Metropole sein, sondern wir müssen eine Stadt immer gemeinsam mit ihrem Umland betrachten. Nachhaltige Stadtentwicklung muss polyzentral gedacht werden. Monozentrische Stadtbilder wie in Köln oder München sind aus der Logik des frühen Mittelalters entstanden, als es darum ging, Burg und Bürger samt Dom gegen Bedrohungen von außen zu verteidigen. Moderne Städte haben deutlich mehr als einen Kirchturmshorizont. Sie funktionieren als organisches Netzwerk – gerade auch, was den Verkehr betrifft. Dieses Netzwerk erstreckt sich im Kleinen wie im Großen auf die vielen innerstädtischen Zentren und in sich geschlossenen Quartiere wie auch auf die Region, die die Stadt umgibt. Stadt und Umland müssen wie Puzzleteile ineinandergreifen. Wo sind Produktionsstandorte? Wo sind primär Wohngebiete? Wie steht es um die Verkehrsanbindung? Sind alle Menschen gleichermaßen gut versorgt?
Umweltfreundliche Citylogistik ist entscheidend
Mobilität und Logistik kommt eine Schlüsselrolle zu. Der schienengebundene Personen- und Güterverkehr ist ein wesentlicher Treiber für eine polyzentrale Entwicklung. Großer Lieferverkehr auf der Straße gehört nicht in die Städte. Wir brauchen weniger Lkw und Pkw in den Innenstädten. Es braucht ein klares Bekenntnis zu einer neuen Mobilität. Um Berlin herum besteht ein herausragendes Schienennetz: Waren kommen auf der Schiene an den Stadtgrenzen an oder auch auf dem Wasserweg in die Stadt. Es gibt beispielsweise den Westhafen und Terminals wie etwa in Großbeeren vor den Toren der Stadt – dort werden Waren umgeschlagen und ins Zentrum gebracht. Das Wie der Citylogistik ist hier zukunftsentscheidend.
Für Stadtplaner steht nicht allein die Sanierung im Vordergrund, sondern auch der Appell, diese Chance zu nutzen und die Verkehrswege unserer Städte auch zu gestalten.
Wir alle kennen die von wochenlangem Smog in den Megacitys etwa von Indien und China entstehenden gesundheitlichen Folgen für die dortigen Menschen. Soll das Mikroklima einer Stadt nachhaltig gesund sein, bedarf es einer ausschließlich umweltfreundlichen Citylogistik. Lösungen dafür sind längst vorhanden, zum Beispiel die Auslieferung auf der letzten Meile mithilfe elektrisch betriebener Cargobikes. In die Stadt hinein bekäme man die Güter beispielsweise mithilfe einer Lastenstraßenbahn. Die politischen Rahmenbedingungen müssen sich ändern. Umweltauswirkungen müssen künftig eingepreist werden, und wir brauchen Fahrverbote für dreckige Lkw in Innenstädten oder eine Citymaut. Dann wird die umweltfreundliche und ressourcenschonende Alternative wirtschaftlich – und letztlich alternativlos.
Arbeiten und Wohnen müssen stärker zusammenwachsen
Gleiches gilt für die Mobilität, die Menschen bewegt. Berlin als Metropole ist schon polyzentrisch angelegt. Zahlreiche kleinere städtische Zentren in den Bezirken bilden das Rückgrat der Stadt. Berlin ist eine Stadt der kurzen Wege: Grundversorger wie Ärzte und Supermärkte liegen unmittelbar vor der Haustür. Aber auch Arbeiten und Wohnen müssen wieder stärker zusammenwachsen, damit die Menschen nicht mehr lange Strecken vom Wohnort zum Arbeitsort zurücklegen müssen.
Es sind historische Zäsuren, wie jüngst die Coronapandemie, die unser Mobilitätsverhalten unglaublich schnell und fast schon radikal verändern. Wer hätte im Januar 2020 geglaubt, dass ein Jahr später das Arbeiten im Homeoffice vor allem für viele Büroangestellte normal sein würde? Heute sind Pendlerwege für viele Beschäftigte nicht mehr selbstverständlich – das entlastet die Umwelt und die Menschen.
Öffentlichen Nahverkehr ausbauen und attraktiv machen
Es ist eine Chance, unsere in die Jahre gekommenen – und vor der Pandemie häufig überfüllten – öffentlichen Verkehrsmittel robust und zukunftssicher zu gestalten, zu sanieren und auszubauen. Es ist eine Chance, mit dem öffentlichen Nahverkehr Stadtteile und Quartiere noch besser und verlässlicher sowie Stadt und Region wirkungsvoll miteinander zu vernetzen.
Die Berliner Stadtentwicklung beispielsweise steht vor der Herausforderung, die vielen Unterzentren effizient und umweltgerecht zu versorgen. Schiene und Straßenbahn benötigen eine aufwendige Infrastruktur und Investitionen. Aus Sicht des Umweltschutzes ist eine schienengebundene Beförderung von Personen und Gütern aber eindeutig eine nachhaltigere Strategie als eine Beförderung im Straßenverkehr. Klar ist: Nachhaltige Stadtentwicklung braucht Ressourcen, in erster Linie Geld. Daran mangelt es nicht unbedingt, aber es ist eine Umverteilung nötig. Die kostengünstigste Variante ist selten die nachhaltigste und damit nie die beste.
Auf der »grünen Wiese« ist Stadtentwicklung wesentlich einfacher.
Autos gehörten lange zum deutschen Selbstverständnis. Das eigene Auto war das Statussymbol schlechthin – das wandelt sich langsam. Umweltfreundlicher Individualverkehr – sei es mit dem Fahrrad, zu Fuß oder mit dem Elektrolastenrad – funktioniert jedoch nur auf überschaubaren Strecken. Oftmals ist auch heute noch das eigene Auto die einzige Möglichkeit, längere Distanzen zurückzulegen. Damit mehr und mehr Menschen auf das eigene Auto verzichten und den öffentlichen Nahverkehr gern und viel nutzen, muss er attraktiver und einfacher werden. Das fängt bei einem gut ausgebauten Netz und einer dichten Taktung an, geht über die Preisgestaltung und reicht bis hin zu Haltestellen als attraktive Aufenthaltsorte.
Hier schließt sich wieder der Kreis zum Städtebau: Haltestellen und Stationen sind Bauten des öffentlichen Raums. Sie sind weit mehr als Verkehrsdrehscheiben, sie sind wichtige öffentliche Aufenthaltsorte. Allein unter den Glasdächern des Berliner Hauptbahnhofs sind täglich fast 500.000 Menschen zu Gast. Darum müssen Bahnhöfe und Stationen dauerhaft schön und sicher sein. Es geht darum, dass die Menschen sich wohlfühlen können. Eine nachhaltige Transformation unserer Städte braucht demnach eine Aufwertung des ÖPNV.
Historische Chance nutzen
Metropolen sind maßgeblich durch ihre dominante Verkehrsform geprägt. Heute ist das zumeist der motorisierte Individualverkehr, der viel Platz für die Beförderung weniger Menschen benötigt. Das städteplanerische Mantra der »funktionalen« autogerechten Stadt hat viele Innenstädte in Betonwüsten mit monumentalen, eher wie Autobahnen anmutenden Hauptverkehrsachsen verwandelt. An Berlin sieht man das besonders eindrucksvoll. Historisch bedingt ist Berlin städteplanerisch im Verzug. Das ist jedoch eine historische Chance.
Die nachhaltige Stadtentwicklung Berlins kann zum Vorbild für die Transformation unserer Städte werden. Jetzt gilt es, diese Möglichkeit auch zu nutzen. Der Weg ist lang und besteht aus etlichen Etappen. Es braucht ein Umdenken in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft sowie veränderte politische Rahmenbedingungen, wie etwa eine konsequente Weiterentwicklung der CO2-Steuer und die Einrichtung von Innovationsfonds. Nachhaltigkeit als oberste Leitschnur unseres Handelns hat nur auf den ersten Blick ihren Preis. Der Preis, wenn man es nicht tut, ist exorbitant höher – für uns und folgende Generationen.