E-Fuels: Schlüssel zur CO₂-Reduktion im Verkehrssektor

Der Verkehrssektor steht vor einer Mammutaufgabe: Einerseits nehmen Güter- und Personenverkehr kontinuierlich zu, ist die Branche doch das Rückgrat einer globalisierten Welt. Andererseits werden die Klimaziele unserer Gesellschaft stetig schärfer und kaum ein Sektor hat sich zuletzt so schwer mit Einsparungen von Kohlenstoffdioxid (CO2) getan wie der Verkehr. Um die Ziele überhaupt zu erreichen, wird es auf alternative Kraftstoffe ankommen. Deren Potenzial offenbart ein Blick in die Luftfahrt.

Der Handlungsbedarf ist groß wie nie. Am 24. Juni 2021 hat der Bundestag schärfere Klimaschutzziele für Deutschland beschlossen: Bis 2030 soll Deutschland seine Treibhausgasemissionen (THG) gegenüber 1990 um 65 Prozent senken. Gut die Hälfte haben wir schon geschafft, allerdings über die vergangenen 30 Jahre. In den verbleibenden knapp zehn Jahren müssen wir das Tempo deutlich erhöhen. Auf uns wartet nichts anderes als ein beeindruckender Endspurt.

Der Status quo: Bei CO2-Einsparungen stockt es

Der Verkehrssektor hat dabei keine gute Ausgangsposition. Auf der ersten Etappe wurden so gut wie keine CO2-Einsparungen erzielt. Mit 164 Millionen Tonnen stießen Flugzeuge, Schiffe, Pkw und Co. in Deutschland 2019 etwa die gleiche Menge CO2 aus wie 1990. Für das Jahr 2030 gibt es für den Verkehr nun ein verbindliches CO2-Budget von 85 Millionen Tonnen. Es ist also einiges aufzuholen. Gleichzeitig wird das Verkehrsaufkommen steigen: Der Durst nach Mobilität und Gütertransporten ist noch nicht gestillt.

Auch wenn die Ziele ehrgeizig sind, herrscht Konsens hinsichtlich ihrer Notwendigkeit. Es führt kein Weg daran vorbei, die Art, wie wir leben, zu verändern. Überschreiten wir weiterhin unser CO2-Budget, richten wir irreparable Schäden an, die die nachfolgenden Generationen kompensieren müssen. Das Credo lautet: Wir müssen jetzt handeln und alle Hebel in Bewegung setzen. Andernfalls verliert der Verkehrssektor in einer klimaneutralen Gesellschaft seine Existenzberechtigung.

Der Optionenraum: Neue Konzepte, Antriebe und Energieträger

Ob zu Wasser, zu Land oder in der Luft: Unser Vorankommen verdanken wir überwiegend fossilen Kraftstoffen. Mehr als 90 Prozent des weltweiten Energiebedarfs im Verkehr werden so bedient. In der Folge führen mehr Mobilität und mehr Verkehrsteilnehmer zu mehr CO2-Emissionen. Wir haben drei Hebel, um dem entgegenzuwirken:

  1. Wir können die Art der Fortbewegung ändern: Ein Ausbau von öffentlichem Personennahverkehr (ÖPNV) oder Fahrradwegen kann dazu beitragen, den Straßenverkehr insbesondere in Städten zugunsten klimafreundlicher Alternativen zu verschieben.
  2. Wir können die Antriebstechnologie verbessern: So sinkt der Kraftstoffverbrauch von Flugzeugturbinen seit Jahren kontinuierlich, und auch die Verbrenner im Pkw sind stetig effizienter geworden. Auch neue Antriebsarten wie Elektromobilität werden zur Option.
  3. Wir können den Energieträger wechseln: Fossile Kraftstoffe wie Benzin, Diesel oder Kerosin lassen sich durch klimaneutrale Alternativen ersetzen. Der Vorteil: Bestehende Technologie lässt sich je nach Lösung beibehalten.

Auf absehbare Zeit wird für zeiteffiziente Reisen kein Weg am Flugzeug vorbeiführen. Beim Transport großer Gütermengen zwischen den Kontinenten wird auch die Schifffahrt nur schwer zu ersetzen sein.

Was die Antriebstechnologie anbelangt, sind Effizienzsteigerungen aus vielen Gründen erstrebenswert, stoßen aber unweigerlich irgendwann an ihr theoretisches Optimum. Hinzu kommt, dass ein Umstieg auf andere, beispielsweise elektrische Antriebe derzeit bei vielen Transportmitteln abseits des Individualverkehrs an Grenzen stößt.

Je größer die Rohstoffbasis, desto größer das Potenzial für den Klimaschutz. Es wird zu diskutieren sein, ob das »Fit for 55«-Paket der EU hier schon die richtigen Weichen stellt.

Um kurzfristige und wirkungsvolle CO2-Einsparungen zu erzielen, müssen wir die Klimabilanz von Verbrennern deutlich verbessern. Den Schlüssel dazu können alternative Kraftstoffe liefern: Sie überwinden die strukturellen und technischen Grenzen, die bisher eine Hürde für CO2-Senkungen im Verkehrssektor waren. Anders als andere Technologien sind sie schon heute in großen Mengen verfügbar sowie hochwirksam, und sie lassen sich in bestehenden Fahrzeugen, Flugzeugen und Schiffen einsetzen. Ganz ohne »Reichweitenangst«.

Wir werden zukünftig ein Zusammenspiel verschiedener Konzepte, Antriebe und Energieträger erleben. Alternative Kraftstoffe werden langfristig eine zentrale Rolle spielen.

Die Grenzen des Möglichen: Mangelnde technische Alternativen erschweren die Dekarbonisierung

Abseits des Personenverkehrs haben es neue Antriebstechnologien schwer. Was in der Öffentlichkeit oft als Unwillen zur Veränderung interpretiert wird, ist tatsächlich die Konsequenz klarer physikalischer Grenzen.

Das Paradebeispiel schlechthin ist die Luftfahrt. Wenn ein Elektroantrieb schon beim Pkw für deutliche Einschränkungen bei der Reichweite sorgt, wie sieht es dann beim Flugzeug aus, bei dem mehrere Hundert Tonnen bewegt werden müssen? Beim heutigen Stand der Technik müsste ein Passagierflugzeug pro Passagier mehrere Hundert Kilogramm Batterien an Bord haben.

Eine verpflichtende Beimischung von acht bis zehn Prozent SAF würde bereits eine nennenswerte Reduktion von CO2-Emissionen mit sich bringen – und die Luftfahrtbranche auf den richtigen Weg.

Wann die Batterietechnologie eine gangbare Alternative für die Luftfahrt sein kann, ist noch nicht absehbar. Ein aktueller Bericht des World Economic Forum rechnet mit zehn bis 20 Jahren – hauptsächlich für kleinere Maschinen und Kurzstreckenflüge. Ähnliches gilt auch für wasserstoffbetriebene Flugzeuge: Wasserstofflösungen für Flugzeuge erfordern den Aufbau einer neuen Infrastruktur. Bestehende Systeme sind für die Nutzung von Wasserstoff nicht ausgelegt. Im Übergang müssten zudem parallele Strukturen betrieben werden. Ein Wasserstofftank würde ferner eine völlig neue Bauweise des Flugzeugs voraussetzen und mehr Raum einnehmen. Wann die Wasserstofftechnologie für die Luftfahrt marktreif ist, ist insofern ebenfalls nicht absehbar – genauso wenig wie die Verfügbarkeit von klimaneutral produziertem Wasserstoff in ausreichenden Mengen und zu wettbewerbsfähigen Preisen. Es ist dabei zwingend erforderlich, den für die Produktion von grünem Wasserstoff erforderlichen Strom komplett aus zusätzlichen oder ungenutzten erneuerbaren Ressourcen zu gewinnen.

Der maßgebliche zweite Faktor neben den physikalischen und technischen Grenzen ist die Nutzungsdauer der Transportmittel. Das durchschnittliche Auto auf deutschen Straßen ist gute zehn Jahre alt, Tendenz steigend. Viele derzeitige Pkw wurden zu einer Zeit gekauft, als es elektrische Fahrzeuge für den Massenmarkt noch gar nicht gab. Deren Anteil steigt zwar, dennoch sind auch die heute neu zugelassenen Fahrzeuge in der Mehrheit Verbrenner. Das bedeutet: In Deutschland werden Pkw auch weit nach 2030 noch Kraftstoff brauchen. Im Jahr 2021 zugelassene Fahrzeuge werden 2030 durchschnittliche Gebrauchtwagen sein. Hinzu kommt, dass alte Fahrzeuge ihren Lebensabend oft als Export im Ausland verbringen.

Die Nutzungsdauer von Flugzeugen übersteigt die der Pkw: Im Gegensatz zum Pkw ist ein Flugzeug in der Regel Teil des Anlagevermögens, und die Laufzeit ist Teil wirtschaftlicher Investitionsrechnungen mit einem Planungshorizont von mehr als 25 Jahren. Da alternative Antriebe noch fehlen, lässt sich also leicht absehen, dass Flugzeuge auch nach 2050 global mit aktuellen technischen Lösungen operieren werden. Gleichzeitig wachsen die Flotten, denn die Nachfrage nach Luftverkehr ist groß. In den kommenden 15 Jahren soll sich das globale Flugverkehrsaufkommen verdoppeln. Heute macht der Luftverkehr etwa 2,5 Prozent der globalen CO2-Emissionen aus. Der Gesamtklimaeffekt wird mit 3,5 Prozent taxiert, wobei zwei Drittel auf die sogenannten Nicht-CO2-Effekte entfallen. Mit dem unmittelbaren Einsatz der bereits existierenden THG-reduzierenden Treibstoffe können diese Effekte mit sofortiger Wirkung vermieden werden.

Hier kommen die alternativen Kraftstoffe ins Spiel: strombasierte Kraftstoffe einerseits und erneuerbare Kraftstoffe andererseits. Beide Technologien können die CO2-Emissionen senken und sich ergänzen. Ein großer Unterschied ist ihre Verfügbarkeit: Strombasierte Kraftstoffe werden ihr volles Potenzial erst in Zukunft entfalten, erneuerbare Kraftstoffe hingegen sind schon heute Realität.

Agenda für 2022

  • Analyse von »Fit for 55«: Wirklich fit für 55?
  • Interessenabgleich der Marktteilnehmer
  • Erstellung eines Maßnahmenkatalogs zur Erreichung von »Net-Zero 2050«
  • Schaffung der Rahmenbedingungen zur Nachfragegenerierung
  • Nachhaltigkeitskriterien bei Technologien und Rohstoffen definieren

Strombasierte Kraftstoffe: Schlüsseltechnologie der Zukunft

Strombasierte Kraftstoffe, sogenannte E-Fuels, werden aus Wasserstoff und CO2 hergestellt. Eng verbunden mit dem Begriff ist die Power-to-Liquid-Technologie (PtL). Das PtL-Verfahren schließt den Kohlenstoffkreislauf: Mithilfe von Wasserstoff werden aus Emissionen wieder Kraftstoffe. Das bei deren Verbrennung entstehende CO2 kann mit Wasserstoff wieder zu Kraftstoff werden. Unterm Strich kann die Technologie damit klimaneutrale Kraftstoffe ermöglichen.

Wer für den Preis eines Kinobesuchs in den Urlaub fliegt, macht kein Schnäppchen, sondern verlagert die Last auf kommende Generationen.

Diese Kraftstoffe werden langfristig eine wichtige Rolle im Energiemix spielen. Ihr Durchbruch ist eine Frage der Zeit und wird aktiv vorangetrieben – insbesondere deutsche Unternehmen sind hier stark aufgestellt und haben eine führende Position. Noch sind wir in einem frühen Entwicklungsstadium. Größere Mengen E-Fuels werden voraussichtlich nicht vor Mitte der nächsten Dekade verfügbar sein. Entsprechende Pilotprojekte sind bereits angelaufen. Es ist allerdings noch nicht zu erkennen, welche Technologie sich durchsetzen wird. Entscheidend ist die Bereitstellung ausreichender »grüner« Stromkapazitäten.

Kurzfristige THG-Minderungen durch den Einsatz von E-Fuels sind nicht zu erwarten. Die für die Branche wegweisende »PtL-Roadmap« der Bundesregierung ist ein guter Indikator: Bis 2030 sollen demnach mindestens 200.000 Tonnen nachhaltiges PtL-Kerosin pro Jahr für den deutschen Luftverkehr nutzbar sein. Das entspricht zwei Prozent des Kerosinabsatzes in Deutschland im Jahr 2019. Auch die EU-Kommission hat das Kräfteverhältnis im sogenannten »Fit for 55«-Paket noch einmal eingeordnet: Ab 2030 wird ein Anteil von mindestens fünf Prozent nachhaltiger Treibstoffe im Treibstoffmix der europäischen Luftfahrt verpflichtend. E-Fuels werden dabei lediglich 0,7 Prozent ausmachen. Bis 2050 soll sich dann der Anteil der sustainable aviation fuels (SAF) auf 63 Prozent steigern, der von E-Fuels auf 28 Prozent.

E-Fuels sind also eine vielversprechende Komponente im zukünftigen Energiemix, werden jedoch kurzfristig nicht dabei helfen, die Reduktionsziele zu erreichen. Es ist daher von entscheidender Bedeutung, kurz- und mittelfristig die richtigen Rahmenbedingungen für bereits existierende Technologien zu schaffen.

Die naheliegende Lösung für das Hier und Jetzt: Erneuerbare Kraftstoffe

Die Logik erneuerbarer Kraftstoffe ist simpel: Beim Verbrennen biologischer Ressourcen gelangt nur so viel CO2 in die Atmosphäre, wie die Pflanzen der Atmosphäre während ihres Wachstums entzogen haben. Als biologische Ressource eignen sich dabei verschiedene Stoffe wie zum Beispiel Algen, gebrauchte Pflanzenöle, Tierfette oder Getreide- und Holzreste. Der natürliche Zersetzungsprozess der Biomasse würde den Kohlenstoff früher oder später ohnehin als CO2 zurück in die Atmosphäre geben. Beim Einsatz fossiler Rohstoffe gelangt dieser Kreislauf aus dem Gleichgewicht: Die fossilen Rohstoffe haben den Kohlenstoff über Jahrmillionen gebunden. Beim Verbrennen gelangt er als zusätzlicher Kohlenstoff in die Atmosphäre. Eine wirklich nachhaltige Produktion der alternativen Kraftstoffe setzt voraus, dass alle verwendeten Ressourcen nachwachsen können oder sich zersetzen würden.

In der Luftfahrt werden Treibstoffe dieser Art, also SAF, schon heute erfolgreich eingesetzt. Neste MY Sustainable Aviation Fuel™ ist ein Beispiel dafür und wird zu 100 Prozent aus erneuerbaren Rest- und Abfallstoffen hergestellt. Zugelassen ist derzeit eine Beimischung von bis zu 50 Prozent zum herkömmlichen Kerosin. Über den gesamten Lebenszyklus des Treibstoffs hinweg reduziert Neste MY Sustainable Aviation Fuel™ die Treibhausgasemissionen im Vergleich zu fossilem Flugzeugtreibstoff um bis zu 80 Prozent. Es ist kommerziell verfügbar und wird bereits von mehreren Fluggesellschaften verwendet.

Dieser Kraftstoff kann ohne Einschränkungen, bei Einhaltung der Beimischungsquote, in bestehenden Systemen verwendet werden. Solche Drop-in-Produkte können die Klimabilanz von Flugzeugen sofort deutlich verbessern, ein Ausbau der Produktionskapazitäten ist kurzfristig möglich. In den kommenden zehn Jahren werden 80 Prozent der weltweiten Kapazitäten auf nachhaltige Kraftstoffe auf Basis von Estern und Fettsäuren entfallen – die sogenannte HEFA-Technologie (hydroprocessed esters and fatty acids) wird damit zum wichtigsten Baustein in der Dekarbonisierungsstrategie.

Neue, zusätzliche Technologien stehen ebenfalls kurz vor dem Marktdurchbruch. Dazu zählen insbesondere die Gasifizierung mit anschließendem Fischer-Tropsch-Verfahren, Fermentierung und Alcohol-to-Jet, die die Rohstoffbasis verbreitern. Nutzbar sind etwa Siedlungsabfälle oder Holzreste (Lignocellulose).

Die »Clean Skies for Tomorrow«-Initiative des World Economic Forum hat ermittelt, dass die Menge an einsetzbaren Rest- und Abfallstoffen ausreicht, um den weltweiten Kerosinbedarf im Jahr 2050 vollständig zu decken. Der Gesamtbedarf für Drop-in-Lösungen im Transportsektor macht es erforderlich, dass alle verfügbaren Technologien parallel zum Einsatz kommen. Strombasierte Kraftstoffe und Kraftstoffe biogenen ­Ursprungs werden gemeinsam den Treibstoffmarkt der Zukunft bilden.

Agenda für 2025

  • Ambitionierte Implementierung von Beimischungsquoten für Lieferanten
  • Erhalt der Freiheitsgrade für die EU-Mitgliedstaaten hinsichtlich Übererfüllung
  • Demokratisierung der Lieferkette von sustainable aviation fuel (SAF)

Die Voraussetzung: Klare regulatorische Rahmenbedingungen für einen schnellen Markthochlauf

Nachhaltige Treibstoffe sind deutlich teurer als fossile. Die bereits eingesetzten Technologien (HEFA) sind etwa vier- bis fünfmal teurer als herkömmliche Treibstoffe. Größeneffekte werden nur in begrenztem Maße für eine Preissenkung sorgen. Gleichzeitig gilt aber auch: Von allen SAF-Technologien sind die HEFA-Treibstoffe heute und auch in den kommenden zehn Jahren trotzdem mit deutlichem Abstand die günstigste Lösung. Damit teilt SAF das Schicksal vieler klimafreundlicher Technologien und die gleichen Fragen: Wer zahlt die Differenz, und wie bleiben Unternehmen wettbewerbsfähig gegenüber denen, die keinen Wert auf ihren CO2-Fußabdruck legen?

Eine Antwort können neue oder höhere verbindliche Verpflichtungen zur Beimischung von alternativen Kraftstoffen sein. Dies erlaubt es den Unternehmen, ohne Wettbewerbsverzerrung umzusteigen. Im Umkehrschluss ergeben sich direkte CO2-Senkungen und ein Anreiz für den Aufbau von SAF-Produktionskapazitäten. Zur Erreichung der Klimaziele in Deutschland und der EU braucht es dabei entsprechende Ambitionen. Eine verpflichtende Beimischung von acht bis zehn Prozent SAF würde bereits eine nennenswerte Reduktion von CO2-Emissionen mit sich bringen – und die Luftfahrtbranche auf den richtigen Weg. Diese Notwendigkeit haben auch mehrere EU-Mitgliedstaaten, darunter Deutschland, erkannt und sich Anfang 2021 in einem gemeinsamen Positionspapier geäußert. Sie appellieren darin an die Europäische Kommission, den Hochlauf erneuerbarer Treibstoffe anzuschieben und zu fördern.

»Fit for 55« ist ein wichtiger Schritt, die Erweiterung der nachhaltigen Rohstoffpalette ein Muss

Bei der Herstellung von SAF sollten alle mit der Erneuerbare-Energien-Richtlinie II (RED II) konformen, nachhaltigen Rohstoffe zugelassen werden. Eine Beschränkung auf bestimmte Rohstoffe würde die Verfügbarkeit alternativer Kraftstoffe hemmen, die Mengen beschränken und letztlich die Klimaziele torpedieren. Das EU-Gesetzespaket »Fit for 55« beschränkt das Portfolio der anerkannten Rohstoffe auf die Stoffe im Anhang IX Teil A und B der RED II. Es wird in den kommenden Monaten zu diskutieren sein, ob diese Beschränkung der Dringlichkeit des Themas gerecht wird: Je größer die Basis an Rest- und Abfallstoffen, desto größer das Potenzial für einen schnellen und deutlichen Beitrag zum Klimaschutz.

Es gilt außerdem, das Bewusstsein der Endverbraucher zu schärfen. Wer für den Preis eines Kinobesuchs in den Urlaub fliegt, macht kein Schnäppchen, sondern verlagert die Last auf kommende Generationen. Wir müssen uns darüber bewusst sein, dass bei einem Ticketpreis von 19,99 Euro der Einsatz von klimaneutralen Treibstoffen kaum möglich ist. Allein auf Freiwilligkeit zu setzen wird nicht ausreichen. Die Industrie braucht regulatorische Rahmenbedingungen, die langfristig nachhaltige Nachfrageimpulse generieren.

Es wird auf alternative Kraftstoffe ankommen

Wer nur auf Lösungen von morgen blickt und bereits heute verfügbare Lösungen vernachlässigt, handelt verantwortungslos und verschiebt die Last und Kosten auf die Zukunft. Die Luftfahrt wird bis 2050 in neue Technologien investieren. Klimaneutrales Fliegen wird eines Tages möglich sein. Auf dem Weg dorthin müssen alle zur Verfügung stehenden Technologien genutzt und weiterentwickelt werden. Bestehende Flotten werden mindestens weitere 25 bis 30 Jahre auf flüssige Kraftstoffe zurückgreifen müssen.

Die Herausforderungen in der Luftfahrt stehen dabei stellvertretend für den gesamten Transportsektor. Auf kurzen Strecken im Straßenverkehr mögen Batterien eine praktikable Lösung sein. Auf der langen Strecke, zu Wasser und in der Luft werden Kraftstoffe mit hoher Energiedichte auch über 2050 hinaus prägend sein. Alternative Kraftstoffe bieten eine wirksame und vielseitige Lösung auf dem Weg zur Klimaneutralität. Sie sind verfügbar und einsatzbereit.

Die Politik kann die erforderlichen Rahmenbedingungen schaffen. Verbindliche, ambitionierte Beimischungsquoten können die erforderlichen Nachfrageimpulse senden. Dabei ist es wichtig, Leitlinien zu implementieren, die offen für verschiedene Technologien und Rohstoffe sind. Der Markt wird dann in der Lage sein, die benötigten Mengen nachhaltiger Kraftstoffe zur Verfügung zu stellen.

Wir können die Ziele des Pariser Klimaschutzabkommens erreichen, wenn das globale CO2-Budget von noch 270 Gigatonnen nicht überschritten wird. Industrie, Politik und Verbraucher müssen jetzt gemeinsam handeln, damit auch kommende Generationen die Herausforderungen im Klimaschutz bewältigen können.

Agenda für 2030

  • Skalierbare Volumina für E-Fuels
  • Ermöglichung eines 100-Prozent-Einsatzes von ­sustainable aviation fuel (SAF)
  • Implementierung globaler Anreizsysteme

Thorsten Lange, geb. 1963, ist Executive Vice President Renewable Aviation bei Neste, dem weltweit größten Hersteller von erneuerbarem Diesel und nachhaltigem Treibstoff für die Luftfahrt. Zuvor war er von 2001 bis 2019 für die Lufthansa Group tätig, zuletzt als Head of Fuel Procurement. Er ist Mitglied der Fuel Steering Group der IATA. Neste verarbeitet Abfälle, Reststoffe und innovative Rohstoffe zu nachhaltigen und erneuerbaren Kraftstoffen sowie Polymeren und Chemikalien. So schafft das Unternehmen Lösungen zur Bekämpfung des Klimawandels und für einen schnelleren Umstieg in eine Kreislaufwirtschaft.