Eine maritime Energiewende
Elf Milliarden Tonnen Fracht werden jährlich über die Weltmeere transportiert. Angetrieben werden die meisten Ozeanriesen bislang mit Schiffsdiesel, doch das soll sich ändern: Bis 2050 hat sich die Schifffahrtsindustrie ein Klimaziel gesetzt und will ihre CO2-Emissionen halbieren. Technologisch ist eine solche maritime Energiewende möglich. Für die Organisation der weltweiten Lieferketten aber kommt sie einer Herkulesaufgabe gleich. Politisch geht es nun darum, die regulatorischen Rahmenbedingungen für eine wirtschaftliche Umsetzung zu schaffen.
Am sichtbarsten ist die Energiewende an Land, wo konventionelle Stromerzeugungstechnologien zunehmend durch erneuerbare Energiequellen ersetzt werden – PV-Anlagen und Windparks sind nicht zu übersehen. Noch stärker im Fokus der breiten Bevölkerung findet der Ausbau der Elektromobilität statt, der sich in einem Tempo vollzieht, das noch vor wenigen Jahren unvorstellbar schien.
Für den Zeitraum bis 2050 prognostizieren Experten ein Wachstum des weltweiten Schiffsverkehrs um bis zu 250 Prozent.
Weniger sichtbar, zählt auch der Schifffahrtssektor zu den großen Treibhausgasemittenten und muss daher seinen Beitrag zum Klimaschutz leisten. Zwar sind Schiffe im Verhältnis zur transportierten Menge (Emission pro Tonne und Kilometer) das mit Abstand umweltfreundlichste Transportmittel. In Summe aber zeichnen sie für rund 2,5 Prozent der globalen CO2-Emissionen verantwortlich, und dieser Anteil wird deutlich steigen, sollte die Dekarbonisierung der Schifffahrt mit der anderer Verkehrsträger nicht Schritt halten.
Als zuständige globale Regulierungsbehörde hat die International Maritime Organization (IMO) daher ein Klimaziel gesetzt. Die 2018 formulierte »Initial Strategy« zur Dekarbonisierung der Schifffahrt sieht vor, dass die jährlichen Treibhausgasemissionen der Branche bis 2050 bei gleichzeitig steigendem Frachtaufkommen auf 50 Prozent der Werte von 2008 sinken. Erste Maßnahmen zur Erreichung der IMO-Ziele sind bereits in der Umsetzung und markieren damit den Beginn einer »maritimen Energiewende«.
Die maritime Energiewende ist eine Herkulesaufgabe
Laut einer Statistik der International Chamber of Shipping werden jedes Jahr rund elf Milliarden Tonnen Fracht per Schiff transportiert. Auf die Weltbevölkerung umgelegt, entspricht dies rund 1,5 Tonnen pro Kopf. Diese Zahl zeigt, wie sehr der Seetransport von Industrieerzeugnissen und Rohstoffen von der Produktion bis zum Verbrauch das moderne Leben prägt. Im Handel der Europäischen Union etwa werden 80 Prozent der Exporte und Importe nach Volumen – und rund 50 Prozent nach Wert – an mindestens einem Punkt der Lieferkette per Schiff transportiert.
Und Bedeutung und Volumen wachsen weiter: Für den Zeitraum bis 2050 prognostizieren Experten ein Wachstum des weltweiten Schiffsverkehrs um bis zu 250 Prozent. Die Industrie steht damit vor einem Dilemma: Wie können Treibhausgasemissionen reduziert werden, während zugleich das Frachtaufkommen zunimmt?
Das Dieselprinzip ist gesetzt
Schiffe werden mit Kolbenmotoren betrieben. Beim Gedanken an eine Dekarbonisierung der Schifffahrt scheinen daher zunächst Analogien zu den technologischen Ansätzen der Kraftfahrzeugindustrie naheliegend, wo – gerade im Individualverkehr – eine Abkehr vom Prinzip des Verbrennungsmotors eingeleitet wird. An seine Stelle sollen elektrische Antriebe treten.
In der maritimen Industrie hingegen bietet die direkte Elektrifizierung mit Batterien als Energiespeicher nur in bestimmten Nischen einen Lösungsansatz, beispielsweise in der Küstenschifffahrt oder für Kurzstreckenfähren. Den Antrieben von Hochseeschiffen schreiben Betriebs- und Sicherheitserfordernisse Eigenschaften ins Lastenheft, die von batteriebetriebenen Systemen kaum leistbar sind.
Große Zwei- und Viertaktmotoren sind auf absehbare Zeit unverzichtbar für die meisten herkömmlichen Schiffsantriebsanwendungen auf hoher See.
Je größer ein Schiff auf dem heutigen Stand der Technik ist, desto geringer ist das Potenzial für den Einsatz von batterieelektrischen Antrieben. Batterien oder Brennstoffzellen stellen weder die Leistungsstärke noch die Energiedichte für die notwendige Reichweite bereit, auf die Hochseeschiffe angewiesen sind – geschweige denn die geforderte Lebensdauer und Robustheit.
Daher sind große Zwei- und Viertaktmotoren auf absehbare Zeit unverzichtbar für die meisten herkömmlichen Schiffsantriebsanwendungen auf hoher See. Ziel einer maritimen Energiewende muss es also sein, die Treibhausgasemissionen dieser großen Motoren zu reduzieren oder gar zu eliminieren. Ansatzpunkt einer nachhaltigen Schifffahrt ist folglich die Erschließung von zunächst kohlenstoffärmeren und schließlich vollständig dekarbonisierten Kraftstoffen.
Kraftstoffinnovation – der Weg zur Dekarbonisierung
Tatsächlich hat der Übergang zu kohlenstoffärmeren Kraftstoffen bereits begonnen. Derzeit entfallen 30 Prozent der Neuaufträge von MAN Energy Solutions auf Dual-Fuel-Motoren, die mit Flüssigerdgas (LNG) betrieben werden. Die klimarelevanten Emissionen aus der Verbrennung liegen hier um bis zu 20 Prozent unter denen herkömmlicher Schiffstreibstoffe. Flüssigerdgas und andere emissionsreduzierte Gase haben damit das Potenzial, eine maritime Energiewende anzustoßen, die über emissionsreduzierte schließlich zum Einsatz vollständig klimaneutraler Kraftstoffe führt. Eine solche »grüne« Schifffahrt wird leistbar durch synthetische Kraftstoffe, die aus grünem Wasserstoff hergestellt werden, also Wasserstoff, der mit regenerativem Strom aus der Elektrolyse von Wasser gewonnen wird (sogenanntes Power-to-X-Verfahren).
Derzeit ist eine Vielzahl von synthetischen Kraftstoffen im Gespräch.
- Wasserstoff
Die Anwendungsmöglichkeiten von Wasserstoff (H2) elektrisieren schon jetzt eine Vielzahl von Branchen. Der gasförmige Kraftstoff hat den großen Vorteil, dass bei seiner Verbrennung nur Wasserdampf (H2O) entsteht – also kein CO2 und keine anderen Treibhausgase. Zugleich hat Wasserstoff jedoch zahlreiche Eigenschaften, die seine Verwendung als direkten Kraftstoff erschweren, etwa seine geringe Energiedichte und sehr hohe Entflammbarkeit. Selbst in flüssiger Form liegt die Energiedichte von H2 um das 4,5-Fache unter der von Dieselkraftstoff, und der Wasserstoff muss zur Verflüssigung energieintensiv auf −253 °C gekühlt werden.
Obwohl es also Vorschläge gibt, Wasserstoff als Schiffskraftstoff zu verwenden, zum Beispiel im Küsten- und Fährverkehr, ist er als Standardkraftstoff für größere Handelsschiffe ungeeignet. Eine Schlüsselstellung kommt ihm dennoch zu. Denn er bildet die chemische Grundlage für die Produktion der meisten anderen synthetischen Kraftstoffe, die für eine Dekarbonisierung des Schifffahrtssektors infrage kommen. Zu den interessantesten Kandidaten zählen synthetisches Erdgas (Methan), Ammoniak und Methanol.
Agenda für 2022
- Umstieg von Schweröl auf emissionsreduzierte Kraftstoffe wie Flüssigerdgas (LNG) fördern – nicht nur im Schiffsneubau, sondern auch bei der Umrüstung der Bestandsflotte.
- CO₂-Preis sukzessive erhöhen, um Anreize zum Umstieg auf emissionsarme Kraftstoffe zu schaffen. Der VDMA hat gezeigt, dass selbst ein Preis von bis zu 110 Euro pro Tonne CO₂ bei richtiger Weichenstellung für die deutsche Industrie vertretbar ist.
- Klare Roadmap für die Bereitstellung klimaneutraler Schiffstreibstoffe.
- Synthetisches Erdgas
Auch Kohlenwasserstoffgase wie Methan lassen sich CO2-neutral produzieren. Ein solches synthetisches Erdgas (SNG) kann aus grünem Wasserstoff gewonnen werden sowie aus CO2, das der Atmosphäre oder anderen Kohlenstoffquellen entnommen wird. Dieses sogenannte Power-to-Gas-Verfahren ist lange etabliert. Bereits 2013 hat MAN Energy Solutions den europaweit größten Methanisierungsreaktor für eine Anlage am Audi-Standort im niedersächsischen Werlte in Betrieb genommen.
Bei SNG handelt es sich zwar chemisch gesehen um den gleichen brennbaren Hauptbestandteil wie bei Flüssigerdgas, Methan. Gewonnen aus grünem Wasserstoff, ist Methan allerdings klimaneutral und eignet sich damit ideal für die Verbrennung in bereits vorhandenen Gasmotoren. Darüber hinaus ist die Weiterverwendung der bestehenden Gasinfrastruktur möglich.
- Ammoniak
Der große Vorteil von Ammoniak ist seine chemische Zusammensetzung – NH3 enthält keinen Kohlenstoff und setzt daher bei seiner Verbrennung kein CO2 frei. Ebenfalls von Vorteil: Der Stoff wird bereits heute in großen Mengen hergestellt und weltweit gehandelt, zum Beispiel als Rohstoff für Düngemittel. Technologien für einen sicheren Umgang sind daher erprobt, und auch der Infrastrukturaufbau für eine Versorgung von Schiffen begänne nicht bei null. Auch die klimaneutrale Produktion aus grünem Wasserstoff ist technisch unproblematisch.
Ein weiterer positiver Aspekt ist die einfache Lagerung und Handhabung an Bord, da sich Ammoniak bei nur −33 °C verflüssigt. Zudem benötigt Ammoniak einen nur 2,9-mal größeren Tank als Marinediesel (MGO) und damit ist die Lagerung kompakter möglich als zum Beispiel bei Wasserstoff (Faktor 4,2 im Vergleich zu MGO). Zu den Herausforderungen, die gelöst werden müssen, gehört die mögliche Bildung von Distickstoffmonoxid (N2O, »Lachgas«) bei der Verbrennung. N2O ist ein Treibhausgas, 270-mal intensiver als CO2.
MAN Energy Solutions entwickelt derzeit den weltweit ersten ammoniakbetriebenen Motor, der 2024 marktreif bereitstehen wird.
- Methanol
Methanol wird als sauber brennender, kohlenstoffarmer Kraftstoff für Schiffe immer beliebter, und Methanol-betriebene Schiffsmotoren sind bereits heute im Einsatz. Zwar wird der Kraftstoff noch konventionell hergestellt, ermöglicht aber auch so bereits eine deutliche Reduzierung der GHG-Emissionen. Im Kontext einer maritimen Energiewende muss der sukzessive Aufbau einer klimaneutralen Methanolproduktion aus erneuerbarem grünem Wasserstoff und abgeschiedenem Kohlenstoff erfolgen. Eine erste kommerzielle Anlage wird derzeit im dänischen Esbjerg geplant.
Die Hauptvorteile von Methanol als alternativem Kraftstoff sind seine mögliche Lagerung als Flüssigkeit bei Umgebungstemperaturen und -drücken sowie seine günstige Energiedichte. Aufgrund seiner komplexeren chemischen Zusammensetzung sind die Kosten einer grünen Produktion zwar höher als etwa bei SNG oder Ammoniak, aber die einfachere Handhabung reduziert Kosten und Komplexität der Lager- und Bunkerinfrastrukturen in den Häfen. Als Ladung ist Methanol in den weltweiten Seehäfen schon heute keine Seltenheit, und es existieren Verfahren für den sicheren Umgang als Ladung und Kraftstoff.
Agenda für 2030
- Bis 2030 müssen die GHG-Emissionen der Schifffahrt um mindestens 40 Prozent sinken.
- Emissionsarme Kraftstoffe, zum Beispiel LNG, treiben den Großteil der Schiffe auf den Weltmeeren an und werden teilweise bereits von grünen Kraftstoffen ersetzt.
- Eine funktionierende globale Wasserstoffwirtschaft ist in der Lage, den zukünftigen Bedarf an synthetischen Kraftstoffen zu decken.
- Ein global gültiger CO₂-Preis macht die Nutzung von fossilem Kraftstoff wirtschaftlich unattraktiv.
Der Kraftstoff der Zukunft?
Die Transformation der Schifffahrt hat begonnen, aber sie braucht Zeit und politische Unterstützung: Kohlenstoffarme fossile Brennstoffe haben die Dekarbonisierung der Schifffahrt eingeleitet. Dieser Wandel wird sich durch einen stetig steigenden Anteil von gasbetriebenen Motoren im Schiffsneubau sowie durch die Umrüstung der Bestandsflotte in den kommenden zehn bis 15 Jahren marktgetrieben fortsetzen. Der notwendige parallele und sukzessive Aufbau einer Produktion von klimaneutralen synthetischen Kraftstoffen hingegen kann nur mit politischer und regulatorischer Unterstützung erfolgreich sein.
Wasserstoff wird ohne Zweifel das künftige Fundament einer maritimen Energiewende bilden.
Erfolgt diese Unterstützung, wird grüner Wasserstoff ohne Zweifel das künftige Fundament einer maritimen Energiewende bilden – weniger als Kraftstoff zum Antrieb von Verbrennungsmotoren, sondern vor allem als Rohstoff für die Produktion von SNG, grünem Ammoniak und Methanol.
Bei großen Transportschiffen werden Ammoniak und Methanol eine zunehmend tragende Rolle spielen. Bei Kreuzfahrern, kleineren Schiffen und Spezialschiffen könnte synthetisches Erdgas maßgeblich werden. Die Marktanteile dieser Kraftstoffe werden entsprechend wachsen. Für die Schifffahrt in küstennahen Regionen könnte neben batterieelektrischen Hybriden auch die direkte Verbrennung von Wasserstoff eine Option werden.
Maritime Energiewende: Technisch machbar, sofern die politischen Voraussetzungen gegeben sind
Die maritime Energiewende ist schon heute technisch machbar. Das Setzen der Rahmenbedingungen aber, die eine weltweite Verfügbarkeit von grünem Wasserstoff und synthetischen Kraftstoffen und ihre wirtschaftliche Nutzung in der Schifffahrt ermöglichen, wird eine der entscheidenden politischen Gestaltungsaufgaben der kommenden Jahre sein. Sie ist lösbar durch die Schaffung von Anreizsystemen wie der Festlegung eines erst national oder europäisch und letztlich weltweit gültigen CO2-Preises. Ein solches globales »Preisschild« macht die deutlich teureren, klimaneutralen Kraftstoffe für Schiffseigner und Charterer zu einer wirtschaftlich abbildbaren Option.
Agenda für 2040
- Synthetische Kraftstoffe sind die vorherrschende Antriebsform auf den Weltmeeren; sie sind wirtschaftlich attraktiv und flächendeckend verfügbar.
- Fossile Kraftstoffe (Schweröl, Marinediesel) spielen keine Rolle mehr; auch die Anteile von LNG nehmen zugunsten synthetischer Kraftstoffe stark ab.
- Hafen-, Speicher- und Transportinfrastrukturen weltweit haben sich an die neuen Kraftstoffe angepasst und stellen diese zuverlässig zur Verfügung.
- Die Wasserstoffwirtschaft wird zu einem etablierten, weltweiten Wirtschaftszweig.