Maximaler Minderungsbeitrag bei überschaubaren Kosten
Die Grundstoffsektoren, allen voran Stahl und Chemie, bilden eine verlässliche Basis für die verarbeitenden Branchen und sichern Millionen hoch qualifizierter Arbeitsplätze in Deutschland. Die Bundesregierung ist sich bewusst, dass es dieses wichtige gesellschaftliche Rückgrat zu bewahren gilt. Das heißt aber nicht, dass die energieintensiven Produktionsprozesse unverändert bleiben können. Denn wir alle wissen nur zu gut, wer nichts verändert, wird das verlieren, was er bewahren möchte.
Die Wahrnehmung der Stahlindustrie, insbesondere in den Schlagzeilen, wurde in der Vergangenheit oft von Stereotypen dominiert. Überwiegend handelte es sich um Schrumpfungsprozesse mit Fusionen, Werksschließungen, Personalabbau, Umweltthemen, vermeintliche und tatsächliche Überkapazitäten, des Weiteren internationale Handelskonflikte und bisweilen auch Managementfehler.
Schon vor 30 Jahren kam die Frage auf, wie junge Leute als Nachwuchskräfte für diese Branche als wichtige Grundstoffindustrie zu begeistern sind, wenn man andauernd solche Schlagzeilen liefert. Diese selbstkritische Betrachtungsweise war und ist mit Sicherheit berechtigt. Denn neben den von außen hereingebrachten Herausforderungen waren viele Probleme hausgemacht, das muss man leider zugestehen. In Folge begleitet unsere Industrie seit Jahrzehnten ein Imageproblem.
Die angestrebte Dekarbonisierung ist ein gesellschaftliches Mammutprojekt, das einen zeitlichen wie finanziellen Aufwand erfordert, der über den Umfang der deutschen Wiedervereinigung weit hinausgehen dürfte.
Spätestens seit der globalen Finanz- und Währungskrise wissen wir in Europa um den hohen Wert stabiler Wertschöpfungsketten. Deutschland hat diese tiefe Krise dank seiner ausgeprägten Industriestrukturen sichtbar besser und schneller überwunden als viele andere Länder. Diese strukturelle Stabilität sichert Millionen hoch qualifizierter, gut bezahlter Arbeitsplätze und garantiert in Folge vielen Regionen Deutschlands Wohlstand als wichtige Grundlage gesellschaftlichen Zusammenhalts sowie sozialen Friedens.
Die Bundesregierung ist sich, wie sie in ihrem »Handlungskonzept Stahl« aus dem Juli 2021 festhält, bewusst, dass es dieses wichtige gesellschaftliche Rückgrat zu bewahren gilt und die Produktion, unter Inkaufnahme deutlich höherer CO2-Emissionen, nicht in Länder außerhalb der EU getrieben werden sollte.
Alle Sektoren werden sich ändern müssen, auch der Stahl
Ein simples »Weiter so« ist auf dem Weg zur angestrebten Klimaneutralität bis 2045 dennoch ausgeschlossen. Die ganze Gesellschaft muss sich weg von fossil-kohlenstoffbasierten Prozessen und hin zu solchen orientieren, bei denen kein oder kaum noch CO2 ausgestoßen wird. Dies ist breiter gesellschaftlicher Konsens mit höchster Priorität für die Politik.
Die Bundesregierung hat dazu die nationalen Klimaziele nochmals verschärft. Sie überbietet sogar den ambitionierten Green Deal der EU (europaweit minus 55 Prozent bis 2030 und Klimaneutralität 2050) mit minus 65 Prozent CO2 bis 2030 und Klimaneutralität bis 2045. Das ist jetzt – für uns alle – gesetzt.
Seit 1990 haben wir in Deutschland für die Absolvierung der ersten Hälfte des 2030er-Ziels inklusive des Zusammenbruchs der DDR-Industrie fast 30 Jahre gebraucht. Jetzt verbleiben nur noch neun Jahre für die zweite Hälfte – und dieser Teil des Dekarbonisierungspfads ist zudem der deutlich schwierigere. Denn die low-hanging fruits sind bereits gepflückt.
Eine zweite industrielle Revolution
Der angestrebte Wandel ist gleichermaßen anspruchsvoll wie unausweichlich. Es handelt sich um eine wahre industrielle Revolution, die zweite. Denn es müssen historisch gewachsene und gut funktionierende Systeme von Energieerzeugung und -transport, des Güter- und Individualverkehrs, von industrieller Produktion bis zur Versorgung mit Wärme auf eine völlig neue Grundlage gestellt werden. Die angestrebte Dekarbonisierung ist ein gesellschaftliches Mammutprojekt, das einen zeitlichen wie finanziellen Aufwand erfordert, der über den Umfang der deutschen Wiedervereinigung weit hinausgehen dürfte.
Die Stahlindustrie steht dabei vor ganz besonderen Herausforderungen, weil die Erzeugung von Stahl über die konventionelle Hochofenroute auf Basis von Erzen unter Einsatz von Kokskohle auch im weltweiten Maßstab immer noch der technologisch reifste, effizienteste und wirtschaftlichste Weg ist. Genau aus diesem Grund werden heute noch 70 Prozent der Weltstahlerzeugung auf diese klassische Art und Weise durchgeführt.
Hochöfen in Salzgitter, Bremen oder Duisburg sind dabei mit einem energetischen Wirkungsgrad von circa 95 Prozent Weltspitze. Das systemimmanente Emissionsminderungspotenzial ist hier nahezu vollkommen ausgereizt. Implikation dieser klassischen Verfahrensroute ist allerdings, dass trotz jahrzehntelanger Optimierung der Prozesse noch etwa zwei Tonnen CO2 pro Tonne Walzstahl emittiert werden.
Hochöfen in Salzgitter, Bremen oder Duisburg sind mit einem energetischen Wirkungsgrad von circa 95 Prozent Weltspitze. Das systemimmanente Emissionsminderungspotenzial ist hier nahezu ausgereizt.
Die Stahlindustrie in Deutschland ist mit rund 58 Millionen Tonnen eine der großen CO2 emittierenden Branchen. Ein einzelnes Hüttenwerk wie in Salzgitter mit drei Hochöfen, Stahlwerk, Weiterverarbeitungsanlagen und eigenem Kraftwerk zur Verwertung der Abfallgase stößt, am physikalisch-chemischen Minimum operierend, immer noch circa acht Millionen Tonnen CO2 pro Jahr und damit etwa ein Prozent der deutschen Gesamtemissionen aus.
Dabei ist aber zu berücksichtigen: Die Energieversorgung erfolgt hier seit Jahren zuverlässig und fast ausschließlich über die Kohle, wodurch man über das Jahr gesehen trotz eines Strombedarfs des gesamten Hüttenwerks in der Größenordnung einer mittleren Großstadt (1,4 TWh / a) mit seinem eigenen Kuppelgaskraftwerk vollständig stromautark ist!
Da sich naturwissenschaftliche Gesetze und Zusammenhänge nicht mit EU-Gesetzen und -Verordnungen außer Kraft setzen lassen, müssen die integrierten Hüttenwerke auf dem Weg in die Klimaneutralität komplett neue Pfade für eine CO2-arme Produktionsroute beschreiten – andernfalls findet die Eisen- und Rohstahlerzeugung als wichtige Vorstufe für unsere Weiterverarbeitungsanlagen wie Walzwerke sowie Verzinkungs- und Beschichtungsanlagen künftig außerhalb der Europäischen Union statt. Bei diesem für die Dekarbonisierung der Primärstahlerzeugung notwendigen Technologiewechsel mit milliardenschweren Investitionen spielt Wasserstoff die wesentliche Rolle.
Emissionsarme Stahlherstellung mit Wasserstoff
Schon Jules Vernes schrieb 1870: »Das Wasser ist die Kohle der Zukunft. Die Energie von morgen ist Wasser, das durch elektrischen Strom zerlegt worden ist. Die so zerlegten Elemente des Wassers, Wasserstoff und Sauerstoff, werden auf unabsehbare Zeit hinaus die Energieversorgung der Erde sichern.«
Erst heute, 150 Jahre später, geht die Verwendung von Kohle und anderen fossilen Energieträgern allmählich ihrem Ende entgegen. In der Stahlindustrie mussten wir dafür einen neuen Herstellungsprozess finden, der zeitnah, das heißt ohne jahrzehntelange Forschung, in industriellem Maßstab verwirklicht werden kann.
Bis vor etwa zwei Jahren standen verschiedene Konzepte zur Reduzierung der CO2-Emissionen der Stahlindustrie öffentlich in Konkurrenz zueinander. Mittlerweile hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass Stahlproduktion auf Basis der Direktreduktion mit Wasserstoff die ökologisch sinnvollste und auch wirtschaftlich effizienteste Alternativroute ist. Dieser Ansatz der Carbon Direct Avoidance (kurz CDA), wonach die CO2-Entstehung von Anfang an vermieden wird und keine zusätzliche Energie in die Komprimierung, Lagerung oder die Transformation in andere chemische Stoffe investiert werden muss, ist inzwischen bevorzugte Handlungsoption der Bundesregierung als Ersatz für die kohlenstoffbasierte Hochofen-Konverter-Route.
Wie genau funktioniert dieses Direktreduktionsverfahren (kurz DRI-EAF-Route)? Dabei wird aus dem Erz der Sauerstoff entfernt, die sogenannte Reduktion durchgeführt und das Eisenerz dann zu Eisen in fester Form, sogenanntem Eisenschwamm (direct reduced iron, kurz DRI), umgewandelt. Anschließend wird der Eisenschwamm in Elektrolichtbogenöfen (electric arc furnaces, kurz EAF) aufgeschmolzen. Der für den Direktreduktionsprozess benötigte Wasserstoff sollte dabei vorher am besten klimaneutral per Elektrolyse mit Strom aus erneuerbaren Energien – wie zum Beispiel Windkraft – erzeugt werden.
Bei CDA-Konzepten wie zum Beispiel »SAlzgitter Low CO2 Steelmaking« (SALCOS®) oder auch dem Hybrit-Projekt ersetzt Wasserstoff die heutige Kohle und den Koks bei der Erzeugung von Eisen aus Eisenerz. Statt CO2 entsteht hier H2O, also Wasser. In der Folge wird sich der CO2-Ausstoß dieser Werke um bis zu 95 Prozent in der Endausbaustufe reduzieren lassen.
Agenda für 2022
- Um die Wirtschaftlichkeit der heimischen »grünen« Stahlproduktion sicherzustellen, muss die nächste Bundesregierung entsprechende Rahmenbedingungen schaffen und Anschubfinanzierungen für den Umbau der Anlagen auf den Weg bringen.
- Solange in Deutschland nicht ausreichend grüner Wasserstoff zu wettbewerbsfähigen Preisen zur Verfügung steht, muss dafür der im Erdgas enthaltene Wasserstoff genutzt werden können. Mit seiner Hilfe lassen sich mit mehr als 66 Prozent bereits signifikante CO2-Einsparungen erzielen.
Transformationshebel: Wasserstoffnutzung aus Erdgas und eine sichere Energieversorgung
Zwei Punkte sind für den technischen Umbau heutiger integrierter Hüttenwerke, der für die neue DRI-EAF-Route keine langfristige Grundlagenforschung mehr bedingt, aber mit milliardenschweren Investitionen in neue Anlagen (Elektrolyse, Direktreduktionsanlage, Elektrolichtbogenöfen) einhergeht, von entscheidender Bedeutung: Solange in Deutschland nicht ausreichend grüner Wasserstoff zu wettbewerbsfähigen Preisen zur Verfügung steht, muss übergangsweise der im Erdgas enthaltene Wasserstoff diese Funktion ausfüllen. Gleichzeitig sind die Hüttenwerke auf eine sichere Energieversorgung mit Fremdstrom zu wettbewerbsfähigen Preisen angewiesen. Ohne den Ausbau der erneuerbaren Energien wird die Sicherstellung ihrer Energieversorgung im angestoßenen Dekarbonisierungsprozess nicht gelingen.
Die Stahlindustrie braucht Erdgas als Brücke in die Wasserstoffwirtschaft.
Mit einer zeitnahen Realisierung der ersten Stufe des beschriebenen DRI-EAF-Konzeptes werden die Hüttenwerke in der Lage sein, die Zukunftsfähigkeit ihrer Stahlstandorte und der damit verbundenen Arbeitsplätze in Deutschland einzuleiten. Die dafür notwendigen Umbauten müssen aus prozess- wie auch produkttechnischen, aber auch aus sicherheitsrelevanten Gründen stufenweise im laufenden Betrieb spätestens bis zur angestrebten Klimaneutralität im Jahr 2045 erfolgen.
Aber: Diese Eingriffe am »offenen Herzen« zur Erzeugung CO2-armen, »grünen« Stahls bedingen selbstverständlich auch die Sicherstellung einer Wirtschaftlichkeit mittels geeigneter politisch-ökonomischer Rahmenbedingungen. Sonst sind die Patienten »wirtschaftlich tot«, bevor sie die Transformation erfolgreich abschließen konnten.
Die Stahlbranche braucht wirtschaftliche Anreize und klare Vorgaben
Zugegeben, die Transformation der Primärstahlproduktion ist kein Pappenstiel und kann in einer konjunkturzyklischen Stahlbranche nicht ohne Weiteres von den Unternehmen allein gestemmt werden. Zwischen Rohstoff-Oligopolen und der Nachfragemacht großer Abnehmerbranchen angesiedelt, bewegen sich ihre durchschnittlichen Gewinne – anders als zum Beispiel in der Automobilindustrie – leider nicht im Milliardenbereich.
Außerdem sind CO2-arme Stahlprodukte auch teurer als jene über die konventionelle Route. Dies bedeutet, dass man bis auf Weiteres mit »grünen« Erzeugnissen im Weltmarkt nicht konkurrenzfähig sein wird. Denn warum sollten in- und ausländische Stahlkunden, die mit ihren Produkten in einem harten internationalen Wettbewerb stehen, grünen Stahl verarbeiten, der zu vergleichbarer Qualität, »bloß« CO2-intensiver, wesentlich günstiger im Ausland beschafft werden kann?
Es hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass Stahlproduktion auf Basis der Direktreduktion mit Wasserstoff die ökologisch sinnvollste und auch wirtschaftlich effizienteste Alternative ist.
Dafür gibt es bisher weder wirtschaftliche Anreize noch regulatorische Vorgaben wie entsprechende Produktstandards. Revolutionäre Transformationen der Wirtschaft erfordern aber eine rationale ökonomische Basis, wenn sie tatsächlich und nachhaltig erfolgreich stattfinden sollen. Niemand investiert Geld für Anlagen, die nicht wettbewerbsfähig betrieben werden können. Deshalb benötigt die Stahlindustrie zum einen passende wirtschaftspolitische Rahmenbedingungen, um ihre Wettbewerbsfähigkeit auch in der Transformationsphase sicherzustellen, und zum anderen substanzielle Anschubfinanzierungen, um so die milliardenschweren Investitionen stemmen zu können.
Agenda für 2025
- Für die Elektrifizierung der Stahlherstellung sind die Werke auf eine verlässliche Zuführung großer Mengen an Fremdstrom zu wettbewerbsfähigen Preisen angewiesen. Dazu muss der Anteil erneuerbarer Energien deutlich ausgebaut werden.
- Bei einer Investition von gut einer Milliarde Euro lässt sich in einer ersten Ausbaustufe bis 2025 / 26 so viel CO2 vermeiden, wie es dem Austausch einer Million Verbrenner-Pkw gegen vollelektrische Autos entspricht.
Im Sektoren- und Branchenvergleich das günstigste Angebot
Man darf sich an dieser Stelle als steuerzahlender Bürger die Frage stellen, warum der Staat gerade die Stahlindustrie mittels öffentlicher Anschubfinanzierungen und Schaffung geeigneter politischer Rahmenbedingungen fördern sollte.
Die Antwort hierauf ist so einfach wie überzeugend: Die Anlageninvestitionen für eine CO2-neutrale Stahlerzeugung belaufen sich zwar auf einige Milliarden Euro, in Relation zu der Menge an vermeidbarem CO2 legt die Stahlindustrie aber das im Sektoren- und Branchenvergleich günstigste sowie energieeffizienteste Angebot vor. Unter Betrachtung der relevanten Kriterien schneiden sämtliche alternativen Konzepte schlechter ab. Denn Fakt ist: Strom aus erneuerbaren Quellen wird hierzulande auf lange Sicht ein knappes Gut bleiben. Daher ist die Höhe der CO2-Vermeidung pro eingesetzter Megawattstunde Strom die entscheidende Kenngröße. Und genau hier hat die wasserstoffbasierte Stahlerzeugung unter Berücksichtigung des Vermeidungspotenzials im Branchenvergleich klar »die Nase vorn«.
Ein weiterer erheblicher Vorteil der Stahlindustrie liegt darin, dass die für hohe CO2-Vermeidungen notwendigen Investitionen in integrierten Hüttenwerken auf sehr wenige Standorte konzentriert werden können. Fortschritte bei der geplanten CO2-Vermeidung in der Stahlproduktion sind dadurch vergleichsweise zügig realisierbar.
Wer dort anfangen will, wo die Prozesse am reifsten sind und der CO2-Minderungsertrag in Relation zu den Engpassfaktoren Geld und regenerativer Strom am größten ist, kommt an der Stahlindustrie mit ihrer Transformation zur DRI-EAF-Route nicht vorbei. Bereits mit der ersten Ausbaustufe bis 2025 / 26 an einem Standort ließe sich bei einer Investition von gut einer Milliarde Euro so viel CO2 vermeiden, wie es dem Austausch einer Million Verbrenner-Pkw gegen vollelektrische Autos entspräche! Ein Vergleich mit den hierfür ausgelobten staatlichen Kaufprämien lohnt sich, denn dafür stehen mehr als fünf Milliarden Euro im Raum!
Zur Lösung der Frage, wie sich die anfänglich höheren operativen Herstellungskosten kompensieren lassen, werden derzeit verschiedene Optionen diskutiert: So könnte es eine Klimaumlage auf Endprodukte für die Konsumenten, ein Grenzausgleichsregime für Stahlimporte in die EU oder auch fest vorgegebene Quoten für die Verwendung CO2-armen Stahls geben.
Ich bevorzuge ein aus dem Markt heraus generiertes Anreizsystem: Stahlverarbeiter wie zum Beispiel die Automobilindustrie sollten einen spürbaren wirtschaftlichen Nutzen aus dem Einsatz des höherpreisigen CO2-armen Stahls ziehen können.
Ein Beispiel: Ein Auto – welches zur Hälfte aus Stahl besteht – würde in der Produktion etwa 300 Euro mehr kosten. Also ein Prozent des Kaufpreises für 25 Prozent weniger Emission über den Gesamtlebenszyklus. Das wäre wohl auch für den Endverbraucher verkraftbar und sollte es ihm auch wert sein! Typische vom Käufer ausgewählte Sonderausstattungen eines neuen Pkws, wie zum Beispiel eine Metallic-Lackierung, kosten je nach Hersteller das Dreifache und mehr.
Erdgas als Brücke in die Wasserstoffwirtschaft
Eine weitere Transformationshürde ist die Tatsache, dass regenerativ erzeugter Strom und damit auch Wasserstoff für die nächsten zwei Jahrzehnte Engpass bleiben werden. Deswegen braucht die Stahlindustrie Erdgas als Brücke in die Wasserstoffwirtschaft. Beim Einsatz von Erdgas entsteht weitaus weniger CO2 als bei der Eisenerzreduktion mit Kohlenstoff. Wir kommen deshalb in Deutschland und der EU nicht daran vorbei, den Einsatz preislich wettbewerbsfähigen, verlässlich lieferbaren Erdgases für den Einsatz in der Stahlindustrie zu forcieren. Die Bereitstellung empfiehlt sich eher via Pipelines als nach energieintensiver Verflüssigung via LNG-Schiffe. Diese beiden Aspekte sollten bei öffentlichen Diskussionen, etwa um Nord Stream 2, mit bedacht werden; eine Energiewende ohne Atomkraft, ohne Kohle und ohne ausreichend Erdgas kann definitiv nicht gelingen.
Die Klimaziele ständig zu erhöhen mag zwar politisch in Verantwortung Stehenden ermöglichen, öffentlich ein gutes, ambitioniertes Bild abzugeben. Aber: Von allein »irgendwie einrütteln« wird sich leider nichts. Die neue Bundesregierung wird entscheiden müssen, wie die gesetzlich festgeschriebenen Klimaschutzziele bis 2030 erreicht werden sollen.
2020 war trotz der Coronapandemie kein verlorenes Jahr, denn mit der »Nationalen Wasserstoffstrategie« und dem »Handlungskonzept Stahl« der Bundesregierung sind wichtige Themen adressiert und richtige Aktionsfelder definiert worden. Die EU-Kommission liegt demgegenüber gefühlt mindestens zwei Jahre zurück. Jetzt sind konkrete Umsetzungsschritte gefragt: Richtungsweisende Entscheidungen über politische und rechtliche Rahmenbedingungen sowie die finanzielle Flankierung müssen zügig gefällt und entsprechende Maßnahmen müssen etabliert werden. Nicht nur die Stahlindustrie braucht aufgrund langer Vorlaufzeiten für Investitionen endlich Klarheit und Verlässlichkeit.
Agenda für 2030 bis 2045
- Die notwendigen Umbauten der Hüttenwerke für eine zeitnahe Realisierung der ersten Stufe des Direktreduktionsverfahrens müssen aus prozess- und produkttechnischen sowie sicherheitsrelevanten Gründen stufenweise im laufenden Betrieb spätestens bis zur angestrebten Klimaneutralität 2045 erfolgen. Sie sind ein entscheidender Baustein, um die Zukunftsfähigkeit der heimischen Stahlstandorte und der damit verbundenen Arbeitsplätze abzusichern.