Netze: Eine unerlässliche Basis
Wenige Monate vor der Bundestagswahl 2021 haben Exekutive und Legislative auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts reagiert, das die Freiheitsrechte künftiger Generationen durch die bisherige Klimapolitik nicht ausreichend gewahrt sah. Die sehr zügige Verschärfung der Klimaziele stellt die Energiewirtschaft nun vor erhebliche Herausforderungen. Auf die Strom- und Gasnetzbetreiber wirkt sich die neue Gesetzgebung wie eine radikale Fristverkürzung aus. Viele Planungen müssen beschleunigt werden, denn ohne Netzausbau und -umbau geht es nicht voran. Wenn die Netze nicht in der Lage sind, den beschleunigten Ausbau der erneuerbaren Energien zu verkraften, werden die Klimaziele nicht erreicht werden können.
Netze haben die Eigenschaft, unauffällig zu sein. Beim Fischernetz ist das sogar erfolgskritisch. Die Fische sollen schließlich nicht wahrnehmen, in was sie da hineinschwimmen. Unsere Energie- und Kommunikationsnetze, also die Netze, über die Wasser und Abwasser verteilt und entsorgt werden, sollen ebenfalls möglichst unsichtbar sein, aber reibungslos funktionieren. In vielen Teilen der Welt werden daher nicht nur Rohre, sondern auch Strom- und Datenleitungen unterirdisch verlegt. Sie finden in der sichtbaren Welt nicht statt.
Was leicht übersehen wird, fehlt aber häufig auf der Tagesordnung. Und tatsächlich denken Politik, Wirtschaft, Forschung und Gesellschaft bislang zu wenig darüber nach, welche elementare Rolle Netze spielen, gerade bei der Bewältigung des Klimawandels und der Vollendung der Energiewende. Das ist riskant.
Das Netz der Zukunft – das Smart Grid – wird Milliarden von Messpunkten miteinander verbinden, um Energieströme so effizient und verlässlich wie möglich zu steuern.
Im Frühjahr 2021 beauftragte der Nationale Wasserstoffrat der Bundesregierung drei Fraunhofer-Institute damit, einen Überblick über den Forschungsstand zu erarbeiten, der zum künftigen Wasserstoffbedarf der Sektoren Energie, Industrie, Mobilität und Gebäude verfügbar ist. Dabei stellte sich heraus, dass die Frage des Netzausbaus wenig oder gar nicht berücksichtigt wird. Wie der erzeugte Wasserstoff zu den Kunden kommen soll und welche Konsequenzen das beispielsweise für den Wasserstoffpreis hat, wird in den Studien einfach ausgeklammert. Die Infrastruktur wird als selbstverständlich vorausgesetzt.
Die Bedeutung der Netze lässt sich am ehesten erkennen, wenn sie einmal ausfallen. Das weiß man, leidgeprüft, vom Mobilfunknetz oder vom DSL-Anschluss zu Hause. Aber es ist ungleich dramatischer, wenn der Strom oder das Gasnetz ausfallen.
Einen solchen Ausfall erlebten die Menschen im Februar 2021 im US-Bundesstaat Texas. Bis zu vier Millionen Haushalte und Gewerbebetriebe waren zeitweise komplett von der Strom- und Gasversorgung abgeschnitten, weil nach einem extremen Kälteeinbruch Windräder, Gas- und Kohlekraftwerke ausgefallen waren. Zahlreiche Systeme wurden schwer in Mitleidenschaft gezogen: Ohne Energie kam es zu Problemen bei der Lebensmittelversorgung. Ganze Krankenhäuser mussten evakuiert werden. Weil frierende Menschen in ihrer Verzweiflung Feuer machten, brachen vielerorts Brände aus, die die Feuerwehren jedoch nicht löschen konnten, weil die Wasserleitungen eingefroren waren und kein Löschwasser zur Verfügung stand. 150 Todesfälle sollen mit dem Netzausfall in Verbindung stehen.
Die Politik in Texas machte zunächst die Windenergie für das Desaster verantwortlich. Das war deutlich zu kurz gegriffen, enthält aber einen wahren Kern. Als der Strom noch aus ein paar wenigen großen, zentralen Kraftwerken kam, war die Steuerung der Stromnetze vergleichsweise einfach. Zeichnete sich ab, dass der Strombedarf von der Prognose abwich, konnte der Netzbetreiber in der Leitwarte des Kraftwerks anrufen und darum bitten, die Erzeugungsleistung entsprechend anzupassen. Stromnetze waren Einbahnstraßen vom Erzeuger zum Verbraucher.
Heute sind die wenigen übrig gebliebenen Großkraftwerke über die Stromnetze mit einer Vielzahl kleinerer Stromerzeuger, Stromspeicher und Stromverbraucher verbunden. 2,1 Millionen Wind-, Photovoltaik- und Biomasseanlagen gibt es heute in Deutschland – 2030 müssen es mehr als doppelt so viele sein, wenn wir die gesetzten Klimaziele erreichen wollen. 95 Prozent davon speisen Strom ins Verteilnetz, das damit zu einer stark befahrenen Straße mit viel Gegenverkehr geworden ist. Je nach Wetterlage kann eine Region im Saldo vom Verbraucher zum Erzeuger von Strom werden – oder umgekehrt. Entweder zieht sie Strom aus den übergelagerten Netzen – oder sie speist ihn dort ein. Die Netzsteuerung ist zu einem hochkomplexen Prozess geworden.
Ohne Digitalisierung geht es nicht mehr
Stromnetze funktionieren nur so lange, wie der momentane Verbrauch der momentanen Produktion entspricht. Nur so kann die erforderliche Stromfrequenz von 50 Hertz gehalten werden. Schon längst ist diese Balance nur dank Digitalisierung zu halten. Ein Beispiel dafür ist »Redispatch 2.0«. Unter diesem Namen haben die vier Übertragungsnetz- und 17 Verteilnetzbetreiber in Deutschland eine Daten- und Kommunikationsplattform geschaffen, durch die ab Oktober 2021 Versorgungssicherheit und Netzstabilität weiter erhöht werden. Alle 15 Minuten werden sich die Netzsteuerungen der unterschiedlichen Spannungsebenen über vorhersehbare Schwankungen in der Energieproduktion und -abnahme verständigen. Auf diese Weise wird automatisch ein Ab- oder Hochregeln von Anlagen veranlasst. Das System verspricht einen erheblichen Effizienz- und Sicherheitsgewinn. Gleichzeitig wird es sowohl die dauerhaften Kosten der Netzsteuerung als auch den Bedarf an klassischem Netzausbau reduzieren, weil es Probleme und Herausforderungen im Netz so lokal wie möglich löst.
»Redispatch 2.0« ist dabei nur ein Digitalisierungsvorhaben unter vielen. Die Entwicklung digitaler Technologien, mit denen die regenerative Erzeugung und Speicherung von Strom sowie die Integration von Elektromobilität besser zu beobachten und zu regeln sind, ist in vollem Gange. Das Netz der Zukunft – das Smart Grid – wird Milliarden von Messpunkten miteinander verbinden, um Energieströme so effizient und verlässlich wie möglich zu steuern.
Grundlage dafür ist ein Informationsaustausch in Echtzeit. Folgerichtig haben die Netzbetreiber ein hohes Eigeninteresse am Ausbau der Kommunikationsinfrastruktur. Die Verlegung von Glasfaserkabeln gerade im ländlichen Raum ist ein zentraler Standortfaktor für Familien, Gewerbetreibende und Industrie. Datenautobahnen sind fundamental wichtig für die Zukunftsfähigkeit unseres Landes. Die Glasfaser ist dabei zugleich ein unverzichtbarer Teil der Energiewende. Denn so wie das Breitbandnetz auf ein stabiles Stromnetz baut, ist das Stromnetz zunehmend angewiesen
auf ein gut ausgebautes Breitbandnetz.
Durch verschärfte Klimaziele nimmt der Transformationsdruck zu
Netzbetreiber müssen sich derzeit mit vielen verschiedenen Themen beschäftigen: von der Frage, wie sie den Wandel der Energienutzung in den Sektoren Industrie, Energie, Mobilität und Gebäude gleichzeitig und verlässlich unterstützen können, bis hin zu der Herausforderung, die personellen Kapazitäten und Kompetenzen zu entwickeln, die der Klimaschutz in den nächsten Jahrzehnten benötigen wird.
Drei Transformationsvorhaben sind zentral für die Netze: die Wasserstoffwirtschaft, die Elektrifizierung in fast allen Sektoren sowie das Anwachsen der Produktion und des Imports von erneuerbaren Energien.
Agenda für 2022
- Die Genehmigungsverfahren für den Bau neuer Anlagen zur Erzeugung erneuerbarer Energien müssen deutlich kürzer werden. Dazu brauchen wir ein passgenaues Planungs- und Genehmigungsrecht mit entsprechender Ausstattung der Behörden.
- Bei der Frage, wie die Umrüstung des Gasnetzes und der Neubau der Wasserstoffinfrastruktur zu bezahlen sind, müssen sich Bund und EU pragmatischen Überlegungen öffnen. Beide Netze müssen gemeinsam geplant werden, und ihr Um- und Ausbau müssen gemeinsam finanziert werden.
1. Die Wasserstoffwirtschaft kommt
Die Frage, ob Wasserstoff eine Rolle als Tafelwasser der Energiewende spielen wird, können wir als beantwortet betrachten. Er wird, weil er muss – und das zügig! Ohne einen zeitnahen Einstieg in die Wasserstoffwirtschaft wird die neue Klimaschutzpolitik des Bundes zur Makulatur. Viele Anwendungen in der Energieversorgung, in der Industrie, im Verkehr und im Wärmesektor lassen sich nicht technisch oder zumindest nicht ökonomisch sinnvoll per Elektrifizierung dekarbonisieren. Ein molekularer Energieträger muss deshalb her, der treibhausgasarm zu erzeugen, großvolumig zu speichern und von den Produktionsstandorten in die Regionen der energieintensiven Industrien zu transportieren ist. Dieser Energieträger ist Wasserstoff. Die Produktion über Elektrolyse ist eingeübt und skalierbar, die Speicherung in riesigen Salzkavernen wird an mehreren Stellen erprobt, und für den Transport steht uns in Deutschland das bereits vorhandene 550.000 Kilometer lange Erdgasnetz zur Verfügung. Das ist ein echter Trumpf für den Wasserstoffhochlauf.
Aber wie spielt man diesen Trumpf aus?
In Holzwickede bei Dortmund probiert dies die Westnetz GmbH, der Verteilnetzbetreiber der Westenergie AG, mit dem Forschungs- und Entwicklungsprojekt »H2HoWi« aus. Zum ersten Mal in Deutschland wird dort eine bestehende Erdgasleitung der öffentlichen Gasversorgung auf reinen Wasserstoff umgestellt. Wissenschaftlich begleitet wird hier nachgewiesen, dass Wasserstoff das Rohrmaterialgefüge und die Dichtigkeit der vorhandenen Infrastruktur nicht beeinträchtigt. Mit diesen Erfahrungen aus Westfalen werden wir überall dort eine Vorlage für die Umrüstung des Gasverteilnetzes liefern können, wo Wasserstoff als effizienteste Energielösung ausgewählt wird – sei es für den Nutz- oder Nahverkehr, die Versorgung von Unternehmen mit Prozesswärme oder das Heizen von Gebäuden.
Netzsteuerung ist zu einem hochkomplexen Prozess geworden.
Wir werden das Rohrleitungsnetz der heutigen Gasversorgung auch für das Energiesystem der Zukunft brauchen. Die Fraunhofer-Institute sagen eine erhöhte Wasserstoffnachfrage bereits ab 2025 voraus, zunächst in der Chemie- und Stahlindustrie. Schon ab 2030 werden aber auch die Energieversorgung selbst und der Mobilitätssektor erhebliche Mengen an Wasserstoff benötigen. Der Nationale Wasserstoffrat rechnet für den Energiesektor dann mit einem Bedarf von bis zu 20 Terawattstunden und von bis zu 288 Terawattstunden zehn Jahre später. Das wäre eine Steigerung um den Faktor 14 innerhalb nur einer Dekade.
Allein die deutsche Industrie könnte bis 2050 einen Wasserstoffbedarf von bis zu 500 Terawattstunden entwickeln. Zur Einordnung: Das ist doppelt so viel Energie, wie in Deutschland heute an Grünstrom erzeugt wird.
2. Investitionsdruck auf die Stromverteilnetze
Durch die Verschärfung der Klimaschutzziele muss der Ausbau der erneuerbaren Energien in Deutschland wesentlich beschleunigt werden. Der Strombedarf wird nach Berechnungen des Energiewirtschaftlichen Instituts an der Universität zu Köln (EWI) von heute rund 500 Terawattstunden bis 2030 auf 685 Terawattstunden steigen: durch die Produktion von Wasserstoff, Elektrifizierung vieler energieintensiver Prozesse in Industrie und Gewerbe, Ablösung von Öl- und Gasheizungen durch stromverbrauchende Wärmepumpentechnik sowie zunehmende E-Mobilität und den damit verbundenen Ausbau der Ladeinfrastruktur für Autos und Fahrräder. Um einen Eindruck von den Dimensionen zu bekommen: Die Zahl der Ladepunkte werden wir von heute 200.000 bis 2025 vervierfachen, bis 2030 verneunfachen müssen.
Jeder dieser Punkte bedeutet für die Netzbetreiber, erheblich in die Verstärkung und Digitalisierung der regionalen und lokalen Verteilnetze investieren zu müssen. Die Versorgungssicherheit ist andernfalls nicht aufrechtzuerhalten. Denn die derzeitigen Stromnetze können die Mehrbelastung nicht verkraften.
Zum Glück fangen wir hier nicht bei null an. Gemeinsam mit Partnern entwickelt E.ON mit dem vom Bundeswirtschaftsministerium geförderten Reallabor SmartQuart ein effizientes und nachhaltiges Modell für die Zukunft, in der die digitale Vernetzung verschiedener Anwender mit den Erzeugern von erneuerbaren Energien innerhalb eines Smart Grids Normalität sein wird. Dazu sind drei sehr unterschiedlich strukturierte Quartiere in Kaisersesch (Rheinland-Pfalz), Bedburg und Essen (beide Nordrhein-Westfalen) intelligent vernetzt worden. Auf diese Weise können die Energieflüsse nicht nur innerhalb der Stadtviertel, sondern auch zwischen ihnen optimiert werden. Entstehen sollen Lösungen und Ansätze, die auf andere Regionen übertragbar sind.
Der Klimaschutz wird die Netzbetreiber rund zehn Milliarden Euro im Jahr kosten, davon sind mehr als zwei Milliarden Euro Folge der im Juni 2021 beschlossenen Verschärfungen.
Was wir jetzt schon wissen: Der nötige Ausbau und Umbau wird immense Kosten für die Netzbetreiber verursachen. 75 Prozent des Investitionsbedarfs im Stromverteilnetz sind dabei direkt durch das Ambitionsniveau der Klimaziele beeinflusst. Wie eine Studie des europäischen Branchenverbands der Elektrizitätswirtschaft, Eurelectric, aus dem Januar 2021 aufzeigt, werden wir in Deutschland bis 2030 rund 104 Milliarden Euro in die Verteilnetze investieren müssen, wenn wir 55 Prozent CO2-Reduktion erreichen wollen. Bei den nun festgelegten 65 Prozent steigt dieser Betrag der Hochrechnung zufolge auf 123, unter Umständen gar bis 128 Milliarden Euro. Mit anderen Worten: Der Klimaschutz wird die Netzbetreiber rund zehn Milliarden Euro im Jahr kosten, davon sind mehr als zwei Milliarden Euro Folge der im Juni 2021 beschlossenen Verschärfungen.
3. Wir brauchen eine Importinfrastruktur
Die Verschärfung der Klimaziele fokussiert den Blick auf die Frage, woher Deutschland in Zukunft seine Energie bezieht. Derzeit werden etwa 70 Prozent unseres Primärenergiebedarfs importiert, vor allem in Form von Kohle, Öl und Gas. Die Abkehr von fossilen Energieträgern und die Grenzen bei den inländischen Erzeugungsmöglichkeiten erneuerbarer Energien haben zur Folge, dass Energie in ähnlicher Größenordnung auch in Zukunft eingeführt werden muss – statt in Form fossiler Energieträger dann als klimafreundlich produzierter Strom und Wasserstoff oder als deutlich leichter verschiffbare Wasserstoffderivate wie Ammoniak und Methanol. Selbst bei sinkendem Endenergieverbrauch bleibt in Zukunft ein immenser Importbedarf an (grüner) Energie bestehen.
Die Infrastruktur dafür steht allerdings bislang nur in begrenztem Maße zur Verfügung. Lediglich ein Bruchteil der nötigen Importe kann bis 2030 über bestehende Fernleitungen abgewickelt werden, wie das Öko-Institut im Juni 2021 in einer Studie zum einjährigen Jubiläum der »Nationalen Wasserstoffstrategie« feststellte. Es fehlen vor allem Pipelineverbindungen in Länder, in denen Wasserstoff zu wettbewerbsfähigen Preisen hergestellt werden kann. Zusätzlich mangelt es an Infrastruktur in Häfen, um Wasserstoff und seine Derivate von den Schiffen zu holen, zwischenzulagern, möglicherweise rückzuwandeln und an Verbraucher weiterzutransportieren.
Die »European Hydrogen Backbone«-Initiative der großen Ferngasnetzbetreiber geht davon aus, dass bis 2025 allein in Deutschland 452 Kilometer des Wasserstoff-Fernleitungsnetzes fertiggestellt sein müssen, bis Ende 2030 gar 1.236 Kilometer. Doch damit ist dann nicht viel mehr erreicht als eine Anbindung der Chemie- und Stahlstandorte des Ruhrgebiets an die Windkraftregionen in Norddeutschland, Dänemark und den Niederlanden sowie an die Kavernenspeicher im Emsland und einige Nordseehäfen. Die eigentliche Wachstumsdynamik beim Wasserstoff kommt erst zwischen 2030 und 2040 auf uns zu. Dann muss das noch recht rudimentäre Startnetz international verflochten und mit wichtigen Abnehmerregionen im Süden und Osten Deutschlands verbunden werden.
Agenda für 2025
- Die »European Hydrogen Backbone«-Initiative rechnet damit, dass bis 2025 allein in Deutschland 452 Kilometer des Wasserstoff-Fernleitungsnetzes fertiggestellt sein müssen.
- Die Fraunhofer-Institute sagen eine erhöhte Wasserstoffnachfrage ab 2025 voraus, zunächst in der Chemie- und Stahlindustrie. Ab 2030 werden auch die Sektoren Energie und Mobilität große Mengen benötigen. Laut Nationalem Wasserstoffrat benötigt der Energiesektor dann bis zu 20 Terawattstunden.
Netzbetreiber sind auf verlässliche Rahmenbedingungen angewiesen
Eine sichere Energieversorgung basiert auf leistungsfähigen Transport- und Verteilnetzinfrastrukturen. Deren Planung und Einrichtung benötigen lange Vorlaufzeiten von oft mehr als zehn Jahren, ihre Betriebs- und Abschreibungszeiträume betragen typischerweise mehrere Jahrzehnte. Umso wichtiger ist, dass Politik und Gesellschaft anerkennen, unter welchen Bedingungen der Aufbau und Umbau der Netzinfrastruktur für Strom, Gas und Wasserstoff sowie die Digitalisierung dieses Energiesystems erfolgreich bewältigt werden können. Wir benötigen verlässliche Rahmenbedingungen, zugleich Flexibilität und Technologieoffenheit, um mit der Arbeit beginnen zu können.
Es wird nicht möglich sein, das ideale Energieszenario detailliert festzulegen, bevor die ersten Schritte gegangen wurden. Es ist dasselbe Spannungsfeld, mit dem Deutschland auch bei der Digitalisierung hadert: Der Netzausbau wie der Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft gelingen nicht als geplante Punktlandung, sondern nur mit konkreten und kontinuierlichen Schritten.
Vom Ausbau der Windkraft wissen wir: In nur einem Jahr entsteht zwar ein neuer großer Windpark, zur Anbindung ans Stromnetz aber vergeht ein Jahrzehnt, weil sich das Genehmigungsverfahren zieht. Das wird die neue Bundesregierung zu lösen haben. Nehmen wir die Klimaschutzgesetzgebung wirklich ernst, brauchen wir ein passgenaues Planungs- und Genehmigungsrecht mit entsprechender Ausstattung der zuständigen Behörden.
Bund und EU müssen sich darüber hinaus pragmatischen Überlegungen öffnen, wie die Umrüstung des Gasnetzes und der Neubau der Wasserstoffinfrastruktur zu bezahlen sind. Es muss möglich sein, Gas- und Wasserstoffnetze gemeinsam zu planen und deren Um- und Ausbau gemeinsam zu finanzieren, schon weil die jeweiligen (Folge-) Kosten nicht trennscharf zu behandeln sind.
Unter den Bedingungen eines klimapolitischen Kraftakts wie heute ist es hochriskant, die Netzbetreiber durch Regulierung und das Verengen finanzieller Spielräume zu schwächen. Im Gegenteil: Wir brauchen für das komplexer werdende Energiesystem der Zukunft mehr Sicherheit und Verlässlichkeit – politisch, wirtschaftlich und technologisch.
Wir brauchen alle Unterstützung für das, was auf uns zukommt. Ansonsten enden wir mit Ladesäulen ohne Strom, Elektrolyseuren ohne Wasserstoff – und schlimmstenfalls mit Stromausfällen wie in Texas. Es sollte uns daher allen sehr daran gelegen sein, dass die Netze nicht dadurch plötzlich auffallen, dass sie nicht mehr liefern.
Agenda für 2030
- 2,1 Millionen Wind-, Solar- und Biomasseanlagen gibt es laut Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) in Deutschland – 2030 müssen es mehr als doppelt so viele sein, um die Klimaziele zu erreichen.
- Die Zahl der Ladepunkte für E-Fahrzeuge muss nach Prognosen des Energiewirtschaftlichen Instituts (EWI) bis 2030 von 200.000 auf 1,8 Millionen, die der Wärmepumpen von einer auf sechs Millionen steigen.
- Laut einer Eurelectric-Studie müssen wir in Deutschland bis 2030 bis zu 128 Milliarden Euro in die Verteilnetze investieren, wenn wir 65 Prozent CO2-Reduktion wollen.