Ökologisierung von Landwirtschaft – zur gesamtgesellschaftlichen Agenda
Ohne Ackerbau und Viehhaltung können menschliche Zivilisationen nicht gedacht werden. Ihre Ausdifferenzierung und Entwicklung sind konstitutive Voraussetzung für alle Formen komplexerer, arbeitsteiliger Gesellschaftsbildung. Seit der Agrarrevolution des 18. Jahrhunderts hat die Agrarwirtschaft mit der Technisierung der Landbewirtschaftung und dann vor allem in den zurückliegenden Jahrzehnten mit der stark beschleunigten weiteren Automatisierung sowie mit agrarchemischen, veterinärpharmazeutischen, biotechnologischen und digitalen Neuerungen enorme Entwicklungsschübe erlebt.
Spezialisierung, Standardisierung und fortschreitende Intensivierung haben nie gekannte Produktivitätsfortschritte und bei sinkendem Arbeits-, aber steigendem Kapital- und Betriebsmitteleinsatz ein steiles Bevölkerungswachstum ermöglicht. In den Industriestaaten der Nordhemisphäre verbindet sich dies mit hoher Ernährungssicherheit, Lebensmittelvielfalt und -qualität. Dabei ist der Anteil an den Lebenshaltungskosten, den die privaten Haushalte für ihre Ernährung aufwenden, auf ein historisch niedriges Niveau gesunken; proportional umso mehr kann daher in anderen Wirtschaftsbereichen konsumiert und investiert werden.
Der marktwirtschaftliche Ansatz fasst ökologisch intakte Natursysteme und ethisch verantwortliche Tiernutzung als Kapital auf.
Der weitaus größte Teil der Landfläche Deutschlands wird seit Jahrhunderten durch Landbewirtschaftung geprägt. Agrarische Naturbeherrschung ist mit vielgestaltigen und komplexen Auswirkungen auf die geophysikalische und biochemische Umwelt verbunden, auf natürliche Ressourcen wie Boden, Wasser, Luft und Artenvielfalt, auf Klima, Pflanzen und Tiere, auf die Landschaft überhaupt. Sie ist eine beinahe vollständig – und in der ursprünglichen Bedeutung des lateinischen Wortes cultura – bearbeitete Kulturlandschaft.
Natürliche Ressourcen und Landwirtschaft unter Druck
Verschoben hat sich indessen in den zurückliegenden Jahrzehnten das Ausmaß, in dem »Natur« für Nahrungs-, Futtermittel- und Energieproduktion genutzt wird. Längst führen die Produktionsformen einer Landwirtschaft, die unter globalisierten Marktbedingungen strikt auf die kontinuierliche Steigerung der quantitativen Erträge pro Flächeneinheit beziehungsweise Nutztier ausgelegt ist, vielfältig zur Überbeanspruchung natürlicher Ressourcen. Betroffen sind auch jene, die nicht allein agrarische Produktionsfaktoren sind, sondern zugleich als regionale und globale Gemeingüter gelten müssen. Besonders augenfällig ist solche Übernutzung etwa bei Stoffkreisläufen (wie Stickstoff), beim Rückgang der Biodiversität in der Agrarlandschaft oder bei der Emission von Treibhausgasen, die zu 13,4 Prozent der Landwirtschaft zugerechnet werden muss.
Derartige ökologische Auswirkungen der heute vorherrschenden Produktionsformen vermögen einander systemisch gegenseitig zu steigern und sind – nicht nur für die weitere Erderwärmung – auch langfristig gravierend. Sie lassen sich auch ökonomisch abschätzen: Für die Bundesrepublik entsteht jährlich ein hoher zweistelliger Milliardenbetrag an gesamtvolkswirtschaftlichen Lasten. Dabei handelt es sich um tatsächliche Produktionskosten, die derzeit allerdings überwiegend externalisiert, in der Preisbildung bei Agrarprodukten nicht berücksichtigt und daher von der Allgemeinheit getragen werden.
Für die Lebensmittelmärkte müssen EU-weit verbindliche Kennzeichnungssysteme gelten.
Trotz eindrucksvoller Produktivitätsfortschritte, der Externalisierung erheblicher Produktionskostenanteile und beachtlicher Finanzierung aus öffentlichen Mitteln ist bei vielen Höfen die Ertragslage schwach und der Kostendruck enorm. Im Verhältnis zu der ihre Produkte abnehmenden Ernährungswirtschaft und zum Lebensmittelhandel befindet sich die Landwirtschaft in einer schwachen Marktposition. Und der landwirtschaftliche Strukturwandel schreitet scheinbar ungebrochen fort. »Wachse oder weiche!« lautet eine prominente Kampfformel: Die Zahl der Betriebe und der Beschäftigten sinkt seit Jahrzehnten stetig, die Flächenausstattung beziehungsweise der Tierbestand des durchschnittlichen Betriebs nimmt zu, die Konkurrenzen zwischen landwirtschaftlicher und anderweitiger Landnutzung um die Ressource Boden verschärfen sich.
Überdies geht mit dem ökonomischen Struktur-
ein allgemeiner Werte- und Diskurswandel einher. Landwirtinnen und Landwirte sehen sich wachsenden Ansprüchen an die ökologische Nachhaltigkeit und tierethische Verantwortbarkeit der Lebensmittelproduktion gegenüber und beobachten allerdings, dass die Verbraucherinnen und Verbraucher nicht im gleichen Maße bereit sind, höhere Lebensmittelpreise zu bezahlen. Zudem wird »Natur« in der Moderne vielfältig zu einem positiven Wertbegriff: zur Chiffre einer Ressource, die den technologisch gesteigerten Verwertungslogiken des modernen Kapitalismus gerade entzogen sein soll. Am besten lässt sich diese Dynamik vermutlich am Wandel tierethischer Maßstäbe beobachten. Nicht zuletzt treten hier typische Ambivalenzen von Fortschritt zutage: Technische Naturbeherrschung kann in modernisierungskritischer Perspektive als Problem erscheinen, während Landwirte sie als Leistungssteigerung anerkannt sehen wollen.
Zukunftskommission Landwirtschaft führt Interessen zusammen
Die Lage stellt sich als strukturell widersprüchlich und spannungsreich dar. Dabei ist es so, dass »eine unveränderte Fortführung des heutigen Agrar- und Ernährungssystems aus ökologischen und tierethischen wie auch aus ökonomischen Gründen aus[scheidet]«. Diese Einsicht ist der Ausgangspunkt der Zukunftskommission Landwirtschaft (ZKL), die im Auftrag der Bundesregierung Landwirtschafts- und Umweltinteressen ebenso wie Industrie-, Handels- und Verbraucherinteressen in Gestalt ihrer maßgeblichen Verbandsvertreterinnen und -vertreter in Deutschland und unter Einbeziehung agrarwissenschaftlicher Expertise zusammenführt. In ihrem im Sommer 2021 veröffentlichten Abschlussbericht »Zukunft Landwirtschaft. Eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe« legt die ZKL konkrete Empfehlungen für politisches Handeln vor. Sie zeigt Entwicklungspfade für eine »schnelle[] und umfassende[] ökonomische[] wie ökologische[] Transformation des gesamten Landwirtschafts- und Ernährungssystems in Deutschland« auf. Deren Notwendigkeit ergibt sich aus der ökonomischen und sozialstrukturellen Situation der Landwirtschaft sowie ihren ökologischen Auswirkungen einerseits und andererseits aus jenen Klima-, Umwelt-, Biodiversitäts- und Tierschutzzielen, auf welche die Bundesrepublik verfassungsrechtlich ebenso wie durch nationale, internationale und supranationale Verträge und Strategien verpflichtet ist.
Gesündere Ernährungsstile wirken über das Konsumentenverhalten auf das Lebensmittelangebot zurück.
Im Einzelnen präzisiert die ZKL diese gesamtgesellschaftliche Agenda in einer Reihe von Zielen und politischen Leitlinien. Dabei betrachtet sie Klima, Umwelt und Artenreichtum sowie den guten Zustand landwirtschaftlich gehaltener Nutztiere als Produktionsfaktoren und zugleich auch als Gemeingüter. Deren Übernutzung ist volkswirtschaftlich ebenso wenig kostenneutral, wie es ihr Schutz in betriebswirtschaftlicher Hinsicht ist. Wenn es also darum gehen muss, den Nutzen der Agrarproduktion für diese Gemeingüter zu verbessern und schädigende Auswirkungen auf sie möglichst zu vermeiden, jedenfalls aber deutlich zu mindern, dann wird dies am wirkungsvollsten zu erreichen sein, wenn es auch »betriebswirtschaftlich attraktiv« ist und deswegen im Unternehmensinteresse der Agrarbetriebe liegt.
Dieser politische Grundsatz einer marktwirtschaftlich angelegten Ökologisierung des Agrar- und Ernährungssystems soll »die Risiken dieser Transformation beherrschbar machen, Planungssicherheit ermöglichen und ihre Akzeptanz insbesondere auch auf Seiten der Landwirt: innen erhöhen«. Vor allem indes soll er »die ökologische Nachhaltigkeit des deutschen Agrar- und Ernährungssystems deutlich verbessern, seine ökonomische Tragfähigkeit dauerhaft sichern sowie Produktionsverlagerungen in Regionen mit geringeren ökologischen und sozialen Standards entgegenwirken«.
Marktwirtschaftlicher Ansatz und faire Bedingungen
Dieser Ansatz der ZKL ist voraussetzungs- und implikationsreich. Erstens verlangt er in politisch praktischer Hinsicht die Weiterentwicklung von Rahmenbedingungen und Grenzziehungen für Agrarmärkte auf EU- wie auf WTO-Ebene. Hohe Nachhaltigkeits- und Sozialstandards in Deutschland oder der Europäischen Union führen nämlich zu Unterbietungswettbewerben und Produktionsverlagerungen, wenn sie nicht durch Instrumente wie Grenzausgleiche, informative Produktkennzeichnungen oder Sorgfaltspflichten in Lieferketten gesichert werden. Da die derzeitigen Handelsregularien »im Effekt eine Wirtschaftsordnung [privilegieren], in der vielfältige Anreize bestehen, Wettbewerbsfähigkeit dadurch zu steigern, dass tatsächliche Produktionskosten zulasten von Gemeinwohlgütern wie Klima, Biodiversität und Tierwohl externalisiert werden«, setzt die Vermeidung und Reduktion derartiger Externalitäten voraus, dass es gelingt, im internationalen Wettbewerb faire Bedingungen auch für nachhaltig produzierte Erzeugnisse der Land- und Ernährungswirtschaft zu schaffen.
Die Transformation der Landwirtschaft führt zu einem zusätzlichen Bedarf von circa sieben bis elf Milliarden Euro jährlich.
Zweitens setzt die ZKL darauf, dass die tatsächlichen Kosten nachhaltiger Lebensmittelproduktion relativ schnell in den Marktpreisen auftauchen; die Transformationszeit ist wegen der Bedrohlichkeit des globalen Wandels sehr knapp. Dazu müssen für die Lebensmittelmärkte EU-weit verbindliche Kennzeichnungssysteme gelten. Maßnahmen wie beispielsweise eine Spreizung der Mehrwertsteuersätze für Obst und Gemüse einerseits, tierische Produkte andererseits müssen hinreichend schnell zu kollektiven Veränderungen des Ernährungsverhaltens mit entsprechenden Rückwirkungen auf die Produktion, wie etwa eine weitere Verringerung des Tierbestandes, führen. Als Ultima Ratio kommen nach Auffassung der ZKL schließlich auch andere steuernde Eingriffe sowohl in die Produktionsprozesse (zum Beispiel Stickstoffüberschussabgabe, Pestizidsteuer) wie ins Verbraucherverhalten (etwa Lenkungssteuern für Salz, Zucker und Fett) infrage.
Drittens fasst der genannte marktwirtschaftliche Ansatz ökologisch intakte Natursysteme und ethisch verantwortliche Tiernutzung als Kapital auf: als quantifizierbare und monetarisierbare Sachverhalte. Die ZKL greift insofern für die Einleitung der ökologischen Transformation des Landwirtschafts- und Ernährungssystems auf eine politische Ökonomie der Natur zurück, deren theoretische Prämissen und Reichweiten im Spektrum zwischen neoklassischer und sozialökologischer Ökonomik durchaus noch unterbestimmt und jedenfalls nicht alternativlos sind.
Landwirtschaft und Ernährungssystem weiterentwickeln
Für die Transformation der landwirtschaftlichen Produktionsprozesse selbst sind viele Aspekte von Belang. Zusammen mit entsprechenden Förder-, Organisations-, Ausbildungs-, Beratungs- und Vermarktungssystemen gehört hierher all das, was die unumgänglichen Eingriffe der Agrarproduktion in die natürlichen Ressourcen so verträglich wie möglich macht und was ihre Resilienz gegenüber den Folgen des Klimawandels erhöht: von Ackerrandstreifen über die Erweiterung der Fruchtfolgen bis hin zu Düngemengensteuerung und Pestizideinsatz; von der Pflanzenzucht über die Strukturierung der Agrarlandschaften bis hin zu Humusaufbau und Wiedervernässung von Mooren als CO2-Senken; von der Rückbindung der Tierhaltung an die jeweils verfügbaren Agrarflächen über tierschonende Produktions- und Schlachtverfahren bis hin zum Baurecht bei Ställen.
Fortschritten in der Technologieentwicklung, der Agrarchemie und der Züchtung sowie den vielfältigen Anwendungsmöglichkeiten digitaler Tools kommt beim modernen Pflanzenbau wie in der Tierhaltung eine erhebliche Bedeutung zu. Betont sei, dass technologische Innovationen zwar »eine notwendige, wenngleich freilich nicht schon hinreichende Bedingung für den Transformationsprozess der Landwirtschaft« sind.
Sie entlasten auch nicht von der Herausforderung, das Ernährungssystem in der Weise weiterzuentwickeln und zu gestalten, dass sich kollektive Ernährungsstile deutlich verbessern und sich das Konsumentenverhalten verändert. Die Fachgesellschaften empfehlen Abwechslungsreichtum, einen hohen Anteil pflanzlicher und einen relativ geringen Anteil tierischer Lebensmittel sowie Wasser und ungesüßte Getränke. Daraus ergibt sich eine ganze Reihe von ernährungspolitischen Folgerungen, die deutlich über eine bessere Ernährungsbildung hinausgehen. Es geht um finanzielle Anreize wie Abgaben etwa auf Zucker, Salz, Fett und tierische Produkte oder Mehrwertsteuersenkungen für Obst, Gemüse und Hülsenfrüchte. Ebenso geht es um Qualitätsverbesserungen in der Gemeinschaftsverpflegung, um den Einsatz der Nachfragemacht des öffentlichen Beschaffungswesens zugunsten ebenso qualitätsvoller wie gesunder Ernährung, um bestmögliche Information der Verbraucherinnen und Verbraucher durch Kennzeichnungen und Zertifizierungen sowie um Möglichkeiten, die Verschwendung von Nahrungsmitteln nachdrücklich zu reduzieren.
Die Folgekosten von Fehlernährung, Umweltschäden, Biodiversitätsverlust und Klimawandel sind gegenzurechnen.
Solche Empfehlungen gehen nicht allein von positiven Auswirkungen auf die Gesundheit der Bevölkerung aus. Sie rechnen auch damit, dass gesündere Ernährungsstile über das Konsumentenverhalten erstens auf das Lebensmittelangebot zurückwirken, insbesondere also auf das Nachhaltigkeitsniveau der Lebensmittelproduktion. Zweitens wird angenommen, dass sich daraus sodann positive Auswirkungen auch auf Umwelt, Klima und Tierwohl ergeben. Die Realisierung einer solchen Ernährungspolitik dürfte einerseits für die Verbraucherinnen und Verbraucher mit Preiserhöhungen bei Lebensmitteln und also damit verbunden sein, dass sich der Anteil der Ernährungs- an den gesamten Lebenshaltungskosten vergrößert. Dies muss für einkommensschwache Verbrauchergruppen sozialpolitisch entsprechend flankiert werden. Andererseits verlangt der skizzierte ernährungspolitische Fortschritt von der Landwirtschaft erhebliche Anpassungsleistungen. Er würde damit einhergehen, dass sich die Proportionen der verschiedenen Produktionssysteme – Tierhaltung und Pflanzenbau, sodann Sonderkulturen und Ackerbau, sodann Lebens- und Futtermittel – verschieben und dass sich die Nachhaltigkeitsniveaus von Produktionsverfahren wie von Produkten erhöhen.
Was die Transformation kostet – und wo sich Lasten verringern
Die unterschiedlichen Elemente einer durchgreifenden Erhöhung des Nachhaltigkeitsniveaus in allen Produktionsformen der Landwirtschaft werden – auch wenn Qualitäten und Quantitäten nicht einfach gegeneinander zu verrechnen sind – aus unterschiedlichen Gründen in vielen Fällen mit Einbußen bei den Produktionsmengen sowie mit Minderungen der Produktivität einhergehen. Schon aus Gründen der Ernährungssicherheit muss dabei die ökonomische Tragfähigkeit der Landwirtschaft in Deutschland gleichwohl gewährleistet sein. Von den ernährungs- und konsumhabituellen Aspekten dieser Aufgabe war schon die Rede. Ihre ökonomischen Größenordnungen hat die ZKL in einer vorläufigen Kostenabschätzung zu ermitteln versucht.
Die von ihr empfohlene Transformationsagenda für die deutsche Landwirtschaft führt danach zu einem zusätzlichen Bedarf von insgesamt circa sieben bis elf Milliarden Euro jährlich. Rechnet man die derzeit in den öffentlichen Haushalten für die Landwirtschaft vorgesehenen Mittel in Höhe von gut sechs Milliarden Euro (vor allem aus der Gemeinsamen Agrarpolitik der EU [GAP]) dagegen, so verbleiben Kosten von circa 1,5 bis 5,5 Milliarden Euro pro Jahr. Weil diese Kosten überwiegend durch die Schonung und Pflege von Gemeingütern entstehen, wäre es unfair, allein die Land- und Ernährungswirtschaft mit ihnen zu belasten. Vielmehr gilt: Diese Mittel »aufzubringen ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Die eigentliche politische Herausforderung besteht in der fairen gesellschaftlichen Verteilung dieser Kosten.«
Die ökologisch nachhaltige Transformation, die die ZKL insbesondere über die Vermeidung und Internalisierung der externen Effekte des Landwirtschafts- und Ernährungssystems voranzutreiben empfiehlt, wird eine Erhöhung des Anteils der Agrarproduktion an der volkswirtschaftlichen Gesamtleistung mit sich bringen. Das ist durchaus erwünscht. Zugleich wird das durchschnittliche Niveau der Lebensmittelpreise steigen – schätzungsweise um 100 bis 150 Euro pro Person und Jahr – und darin eine gewachsene gesellschaftliche Wertschätzung von Nahrung ihren Ausdruck finden. Aus einer ganzen Reihe von Gründen unrealistisch und sachlich verfehlt wäre allerdings die Erwartung, die hier kalkulierten Ökologisierungskosten würden sich allein aus den entsprechenden Markterlösen decken lassen.
Dieser Ansatz verlangt die Weiterentwicklung von Rahmenbedingungen und Grenzziehungen für Agrarmärkte auf EU- wie auf WTO-Ebene.
Das müssen sie auch nicht, denn neben den Markterlösen stehen zur Gegenfinanzierung der Mehrkosten einer ökologisch nachhaltigeren Agrarwirtschaft einerseits etwa zweckgebundene Verbrauchsabgaben und Erträge zum Beispiel aus dem Handel mit Klima- oder Umweltzertifikaten zur Verfügung. Andererseits wären zumindest mittelfristig die heutigen Folgekosten von Fehlernährung im Sozial- und Gesundheitssystem ebenso gegenzurechnen wie die volkswirtschaftlichen Lasten der Beseitigung von Umweltschäden, des Biodiversitätsverlustes und des Klimawandels, die sich auf einen hohen zweistelligen jährlichen Milliardenbetrag belaufen. Wie immer methodisch verbesserungsfähig diese in Umrissen hier nur angedeutete Kostenkalkulation auch sein mag, erlaubt sie daher doch eine verlässliche politische Aussage: Die Differenz zwischen den Kosten einer durchgreifenden Ökologisierung des Landwirtschafts- und Ernährungssystems und den gesamtgesellschaftlich getragenen externen Kosten eines weitergeführten Status quo hat einen Umfang, der diese Ökologisierung auch in makroökonomischer Perspektive sehr vorteilhaft werden lässt.
Nachzutragen ist indes ein zentraler Aspekt, der agrar- und umweltpolitisch höchstes Aufmerksamkeits- und Konfliktpotenzial besitzt. Die skizzierte Kalkulation unterstellt nämlich, dass öffentliche Mittel »insgesamt der zielgerichteten Finanzierung der Bereitstellung öffentlicher Güter dienen«. Demgemäß hat sie die von der öffentlichen Hand derzeit für die Landwirtschaft jährlich verausgabten gut sechs Milliarden Euro insbesondere aus der GAP bereits für die Deckung der Ökologisierungskosten veranschlagt. Das ist indes ein Vorgriff auf die Zukunft. Denn vor allem der größte Anteil dieser Mittel, die sogenannten Direktzahlungen, trägt in seiner derzeitigen Form allenfalls ansatzweise dazu bei, ein ökologisch nachhaltigeres und tierethisch verantwortliches Agrarsystems zu entwickeln. Die GAP muss deshalb nach Überzeugung der ZKL in einer stetigen und klar definierten Schrittfolge grundsätzlich neu ausgerichtet werden. Und das bedeutet vor allem: »Die bisherigen flächengebundenen Direktzahlungen der 1. Säule der GAP sollen im Laufe der nächsten zwei Förderperioden ab 2023 schrittweise und vollständig in Zahlungen umgewandelt werden, die konkrete Leistungen im Sinne gesellschaftlicher Ziele betriebswirtschaftlich attraktiv werden lassen.«
Vielfalt der Sachaspekte in einen systematischen Rahmen integrieren
Die von der ZKL beschriebene und empfohlene Agenda einer Ökologisierung der deutschen Landwirtschaft ist das Ergebnis einer Verständigung zwischen unterschiedlichen organisierten Interessen unter Einbeziehung agrarwissenschaftlicher Expertise. Diese Verständigung folgte der Logik des vernünftigen Ausgleichs widerstreitender politischer, ökonomischer, ökologischer und sozialer Positionen. Möglich wurde sie nicht zuletzt, weil es zugleich gelungen ist, die enorme Vielfalt der zu berücksichtigenden Sachaspekte in einen systematischen Rahmen zu integrieren.
Dieser Rahmen ist offen für weitere Themen, die von der Kommission aus praktischen Gründen nicht bearbeitet werden konnten. Zugleich sind die einzelnen Empfehlungen der ZKL dieserart in einen systematischen Zusammenhang gerückt, in dem sie sich gegenseitig stützen und der es erschweren soll, sich auf dem Wege der politischen Rosinenpickerei bloß die je passende Einzelempfehlung zu eigen zu machen. Ein opportunistisch selektiver Gebrauch würde jene Verständigungsressourcen verschleißen, ohne die die von der ZKL entwickelte neue Agenda für Landwirtschaft und Ernährung in Deutschland nicht verwirklicht werden könnte.