Weichenstellungen für den Klimaschutz in den nächsten zwei Legislaturperioden
Der im August 2021 erschienene Sechste Sachstandsbericht des Weltklimarats (IPCC) zur Funktion des Klimasystems der Erde zeigt eindeutig, wie empfindlich Klima und Natur auf Treibhausgasemissionen reagieren. Er analysiert auf Basis aktueller wissenschaftlicher Erkenntnisse, welchen Pfad die Menschheit beschreiten muss, um Klimastabilität zu erreichen. Nur ein dauerhafter CO2-Gehalt der Atmosphäre deutlich unter 450 ppm kann die globale Erwärmung auf unter zwei Grad begrenzen und Bedingungen schaffen, die das Kippen des Erdsystems verhindern und den irreversiblen Verlust an Lebensraum für Mensch und Natur begrenzen.
Um auf diesen Entwicklungspfad zu kommen, müssen die Treibhausgasemissionen weltweit pro Dekade halbiert und bis etwa Mitte des Jahrhunderts Richtung null reduziert werden. Das ist machbar, erfordert aber entschlossenes Handeln in vielen interagierenden Bereichen. Wir stellen acht zentrale Weichen für neue Formen zielorientierter, reflexiver Zusammenarbeit und Steuerung in den Mittelpunkt der Aktionen in den 2020er-Jahren.
Internationale Kooperation fördern und Wettbewerbsfähigkeit sichern
Weichenstellung 1 – internationale Kooperation für Klimaschutz und zur Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit rasch voranbringen: China, die USA und die Europäische Union sind die größten Emittenten von CO2 und insgesamt für die Hälfte der globalen CO2-Emissionen verantwortlich. Ein großer Schritt wäre getan, wenn sich diese drei Hauptemittenten auf einen Mindestpreis für CO2 einigen würden, der mit der Zeit steigt. Nähme man Indien, Russland und Japan in diese Verhandlungen auf, wären bereits zwei Drittel der globalen Emissionen erfasst. Ergänzend zum CO2-Mindestpreis könnte eine ausgleichende Importabgabe für besonders kohlenstoffintensive Produkte wie Stahl und Aluminium für jene Länder eingeführt werden, die keinen CO2-Preis erheben. So kann die internationale Wettbewerbsfähigkeit der energieintensiven Industrien gesichert werden. Es wäre zudem ein zusätzlicher Anreiz für die exportierenden Länder, selbst einen CO2-Preis einzuführen. Das Niveau des Mindestpreises kann dabei am Anfang niedrig sein, damit das Instrument als Hebel der internationalen Kooperation erst einmal etabliert wird. In späteren Verhandlungsrunden würde dann schrittweise ein Anheben folgen. Maßgeblich für die Effektivität dieser Maßnahmen ist die Mitwirkung der großen Emittenten. Politisches Kapital muss daher verstärkt und schnell in internationale Kooperation investiert werden, damit eine Vorreiterallianz für den Umbau der Weltwirtschaft entsteht.
Inzwischen keimt Hoffnung auf, dass Verhandlungen über Mindestpreise auf internationaler Ebene bald Wirklichkeit werden. Dazu haben mehrere Entwicklungen beigetragen: die ambitionierte Politik und die bereits gelegten Fundamente in der EU, die Rückkehr der USA zum Pariser Abkommen, der von US-Präsident Joe Biden einberufene Leaders’ Summit on Climate im April 2021 und der sich formierende G 3-Klimaklub aus den USA, der EU und China. Ärmeren Ländern könnte durch Mittel aus dem Green Climate Fund oder multilateralen Investmentfonds die Teilnahme erleichtert werden. Der Green Climate Fund könnte sogenannten Entwicklungsländern, in deren Energiesystem immer noch die Kohlenutzung dominiert, zinsvergünstigte Kredite anbieten oder sie beim Aufbau eines erneuerbaren Energiesystems unterstützen. Im Gegenzug müssten sich die empfangenden Länder verpflichten, den Ausstieg aus der Kohle einzuläuten und CO2-Preise einzuführen. Dabei bleibt für den einzelnen Staat offen, ob dies durch eine Steuer oder durch einen Emissionshandel erreicht wird, der ebenfalls um einen Minimumpreis ergänzt werden kann.
Dem Verlust natürlicher Kohlenstoffsenken sofort entgegensteuern
Berechnet man das verbleibende Kohlenstoffbudget, bis die Erderwärmung 2 °C überschreitet, so spielen die Rückkopplungen der Natur bei der schon jetzt erheblichen Erwärmung der Landflächen um 1,6 °C und der Ozeane um 0,9 °C eine wichtige Rolle und steigern die Unsicherheit. Die Natur steuert wesentlich die CO2- und Methanemissionen und das verbleibende Kohlenstoffbudget: Pflanzen und Ozeane nehmen CO2 aus der Atmosphäre auf und speichern es vorübergehend. Mikroorganismen wiederum nutzen und oxidieren Methan aus den Böden an Land und im Meer, bevor es
in die Atmosphäre gelangt.
Kleines CO2-Budget für das 1,5-Grad-Ziel
Je kleiner das global verbleibende CO2-Budget gehalten wird, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass sich die Erderwärmung noch auf 1,5 °C begrenzen lässt. Das bedeutet: Nur mit einer schnellen und drastischen Reduktion der globalen CO2-Emissionen in Richtung null ist es möglich, die Klimaziele zu erreichen. (Geschätztes verbleibendes CO2-Budget ab 2020, Emissionen 2021 mit 2019 vergleichbar angesetzt, Grafik von Glen Peters, Daten aus dem Sechsten Sachstandsbericht des Weltklimarats)
Noch nehmen Land und Ozean relativ gleichbleibend 56 Prozent der CO2-Emissionen auf, wobei Land und Ozean im Durchschnitt etwa jeweils die Hälfte dazu beitragen. Der gemeinsame Bericht von IPCC und IPBES, der neue IPCC-Sachstandsbericht, das Global Carbon Project und neue Forschungsergebnisse zeigen aber, dass weitere CO2-Emissionen, die Erderwärmung und verschiedene Nutzungsformen die relativen Leistungen der Natur als CO2-Senke deutlich abschwächen könnten.
Weichenstellung 2 – Naturschutz und Klimaschutz müssen gemeinsam geplant und institutionalisiertes Monitoring, Restoration und Regulation müssen erheblich ausgebaut werden: Die Leistungen natürlicher Kohlenstoffsenken – zum Beispiel der Primärwälder, Moore und Küstenvegetation – müssen schnell und massiv ausgebaut werden. Denn in der Berechnung des verbleibenden Treibhausgasbudgets zählen wir auf sie. Globales Umweltmonitoring zeigt: Die mittlerweile etwa 15 Prozent geschützten Landflächen nehmen aufgrund von Nutzung, aber auch durch bereits wirksame Effekte der Erderwärmung weniger Treibhausgase auf. Böden, Wälder und Küsten können vor allem durch Hitze zu Quellen statt zu Senken für Kohlenstoff werden, aber auch extreme Regenfälle führen zu Erosion und vermindern die Naturleistung. Da die für die nachhaltige CO2-Speicherung verantwortlichen Ökosysteme sehr langsam wachsen, werden langfristige und verlässliche Strategien sowie Förderungen für das Monitoring, den Schutz und die Restoration von Landflächen benötigt.
Beispielsweise lassen sich mithilfe von Satelliten und Drohnen Zustandsveränderungen von Land- und Meeresflächen sowie der Kohlenstoffflüsse global erfassen. Ziel ist dabei, die Wirksamkeit von Regulationen und Maßnahmen zu verbessern sowie das verbleibende Kohlenstoffbudget einschließlich der Nicht-CO2-Treibhausgase genauer zu bestimmen. Entsprechende Technologien stehen grundsätzlich zur Verfügung, werden aber international noch nicht systematisch und auf der Grundlage gemeinsamer Standards und Regeln eingesetzt. Es wäre möglich und bezahlbar, etwa über die CO2-Bepreisung, durch eine Verzahnung von globalem und lokalem Monitoring sowie die Pflege von Natur und Artenvielfalt den gegenwärtigen Verlusten entgegenzusteuern. Entsprechende Schutz- und Restorationskonzepte würden gleichzeitig erheblich zum Klimaschutz wie auch zum Artenschutz und zur Wertschätzung der Natur beitragen. Lösungen sollen unter anderem in der gerade begonnenen »UN-Dekade für die Wiederherstellung von Ökosystemen« erarbeitet werden. Während die EU unter anderem das Ziel unterstützt, 2030 schon 30 Prozent der globalen Landfläche in geschützte Natur verwandelt zu haben, sind die bereits geschützten 15 Prozent Landfläche immer größerem Druck ausgesetzt. Hier sind deutliche politische Kraftanstrengungen notwendig.
Über die Entwicklung der natürlichen CO2-Quellen und -Senken, auch der Nicht-CO2-Treibhausgase, ihre Klimaempfindlichkeit, über die Lösung von Zielkonflikten in Klima- und Naturschutz sowie die Nutzungskonzepte bestehen große Unsicherheiten. Diese müssen mithilfe nationaler und internationaler Forschungsprogramme angegangen werden. In der Berechnung des verbleibenden Kohlenstoffbudgets wird dabei grundsätzlich kalkuliert, dass die Pflanzen, Böden und Gewässer nicht bewirtschafteter Naturflächen mehr CO2 aufnehmen können, wenn mehr emittiert wird. Eine Kompensation von fossilen Energien oder ein Offset von nationalen und internationalen Emissionszielen mit Anrechnung dieser natürlichen CO2-Senken ist daher abzulehnen.
Emissionsreduktion allein genügt nicht – Kohlendioxid aus der Atmosphäre zurückholen
Preise und Förderungen zum klimaverträglichen Umbau der Wirtschaft werden die Senkung der Treibhausgasemissionen beschleunigen. Alle Szenarienrechnungen zeigen, dass die wichtigste Stellschraube die rasche Dekarbonisierung des Stromsektors in den nächsten Dekaden ist und wir dazu einen frühzeitigen weltweiten Kohleausstieg benötigen. Die Transformation des Verkehrs- und Wärmesektors kann durch eine starke Elektrifizierung vorangetrieben werden. Die bis 2050 unvermeidbaren Emissionen, etwa bei industriellen Prozessen, müssten durch Rückholung von CO2 (negative Emissionen) ausgeglichen werden, damit das bis dahin verbleibende Kohlenstoffbudget für einen Atmosphärengehalt an CO2 deutlich unter 450 ppm eingehalten wird. Dabei spielen auch andere Treibhausgase eine wichtige Rolle für den Klimaschutz. Eine Klimastabilität bis Mitte des Jahrhunderts lässt sich also nur erreichen, wenn deutlich mehr CO2 aus der Atmosphäre zurückgeholt wird (carbon dioxide removal, CDR), als es die Natur derzeit leisten kann, . Es muss daher Maßnahmen geben, die das Kohlenstoffbudget stabilisieren.
Weichenstellung 3 – global die Transformation der Land-, Forst- und Fischereiwirtschaft stärken, um Klima- und Artenschutz sowie menschliche Ernährung und Entwicklung zu sichern: Die Agrarwirtschaft und andere Formen der Landnutzung waren in der jüngsten Dekade nur noch für circa 14 Prozent der globalen Emissionen verantwortlich, doch dieser Anteil wird wieder steigen. Land- und Ozeanmanagement braucht künftig faire und nachhaltige Geschäftsmodelle. Denn es muss zum einen den Schutz von Klima, Natur und Gesundheit belohnen und zum anderen regional die sozioökonomische Entwicklung fördern und dabei die Rechte von Menschen verschiedener Kulturen berücksichtigen. Dafür müssen die Konflikte zwischen Klima- und Naturschutz auf der einen und Energie- und Ernährungsbedarfen auf der anderen Seite in der Land- und Meeresnutzung gelöst werden. Die Biosphäre ist schon heute durch menschliche Aktivitäten so schwer beschädigt, dass sie ihre Aufgaben immer weniger erfüllen kann: das Klima und die Biodiversität zu schützen, Energie bereitzustellen und mehr Menschen zu ernähren. Basierend auf internationaler Zusammenarbeit und unter Beachtung der Menschenrechte muss weltweit in die Stärkung und schonende Nutzung von Land und Meer investiert werden. Dabei gilt es, nicht nur ihre Produktivität, sondern auch ihre Methan- und Kohlendioxid-Speicherkapazität sowie ihre Biodiversität und damit Resilienz zu erhöhen. Das kann viele Arbeitsplätze schaffen und viele andere Vorteile wie Gesundheitsförderung und qualitativ hochwertige Nahrungsmittel bieten.
Die Senkenfunktionen der genutzten, bewirtschafteten Natur zu stärken bedeutet nicht, dass CO2-Emissionen der Industrie oder der CO2-Fußabdruck eines Produkts mit der CO2-Speicherung eines Waldes anderswo verrechnet werden dürfen. Ebenso wenig dürfen nationale Emissionsziele um die CDR-Leistung der eigenen Land- oder Meeresfläche geschmälert werden. Denn erst dann, wenn erhebliche Flächen für CDR-Leistungen dazugewonnen wären, könnten diese auf die Klimaziele einzahlen. Theoretisch gäbe es reichlich Landflächen für den integrierten Klima- und Biodiversitätsschutz, wenn dafür weltweit ökologisch wirksame, ökonomisch tragfähige und faire Geschäftsmodelle entwickelt würden. Diese Herausforderung anzugehen ist eine zentrale Aufgabe internationaler Klima- und Artenschutzkooperation.
Land- und Ozeanmanagement braucht faire und nachhaltige Geschäftsmodelle.
In den Meeren muss das Management von Naturleistungen ebenfalls dringend angegangen werden. Die seit dem vorigen Jahrhundert zusammenbrechenden Bestände großer planktonfressender Wale, die Überfischung und Übernutzung der Küsten sowie die Ozeanerwärmung verringern die Kapazität für die Rückholung von CO2 aus der Atmosphäre. Küstenvegetation wie Mangroven, Seegras oder Kelpwälder können schnell sehr viel CO2 binden, aber ihre Bestände gehen zurück. Algen könnten als Biomaterialien in Kreislaufwirtschaften dienen oder als Futter und Düngemittel sowie als Kohlenstoffsenke. Noch fehlt es aber an internationaler Forschung und Investition, um die Unterwasserwälder zu bewirtschaften. Dadurch könnte allerdings ein relevanter Beitrag zur Emissionsreduktion und zum Artenschutz geleistet werden. Zudem könnten Arbeitsplätze rund um die Küsten entstehen.
Auch Land-, Forst- und Fischereiwirtschaft erfordern ein Flächenmanagement, damit CO2 zurückgeholt werden kann. Einerseits sind diese Bereiche vom Klimawandel besonders bedroht, andererseits sollen sie künftig mehr Menschen ernähren und selbst zum Klimaschutz beitragen. Dafür müsste die Kreislaufwirtschaft viel stärker in die Agrar-, Forst- und Ernährungswirtschaft eingehen und gefördert werden. Das erfordert auch innovatives Wasser- und Nährstoffmanagement sowie die Stärkung kohlenstoffspeichernder Böden an Land und im Meer. Verbesserungen des Rechtsrahmens für eine integrierte Agrar-, Forst- und Umweltpolitik sind ebenso notwendig wie eine praxisnahe Förderung klima- und umweltfreundlicher Praktiken und Produkte. Die Subventionen von umwelt- und klimaschädlichen Verfahren müssen dagegen stark zurückgefahren werden.
Insbesondere die Agrarproduktion verursacht nicht nur einen signifikanten Anteil an Treibhausgasemissionen, sie beeinträchtigt auch durch den Biodiversitätsverlust, die Eutrophierung von Gewässern oder den Antibiotikaeinsatz in der Tierhaltung das Allgemeinwohl. Die Kosten zur Schadensbegrenzung dieser Externalitäten werden derzeit auf die Allgemeinheit abgewälzt und nicht etwa durch einen CO2-Preis oder eine Lenkungssteuer an die Verursachenden zurückgegeben. Eine Bepreisung von Treibhausgasemissionen in der Landwirtschaft würde nicht nur die Emissionen reduzieren, sondern auch den Stickstoffeintrag und den Einsatz von Antibiotika verringern. Diese Internalisierung der Kosten setzt Anreize für Konsumierende und Produzierende.
Auch die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) der europäischen Landwirtschaft muss entsprechend reformiert werden und maßgeblich dazu beitragen, den Übergang zu einer nachhaltigen Agrarproduktion zu bewerkstelligen. Im »Fit for 55«-Paket des »European Green Deal« sind Ziele bis 2035 für die Landnutzung einschließlich der Forstwirtschaft vorgegeben – damit soll die kreislauforientierte Nutzung natürlicher Ressourcen befördert werden. Diese Ziele brauchen aber eine umfassende Bewertung ihrer Gesamtwirkung auf CO2- und Nicht-CO2-Emissionen und der Zielkonflikte im globalen Klima- und Naturschutz. Auch die Ernährungssicherung und Wettbewerbsfähigkeit in internationalen Dimensionen müssen dabei bedacht werden.
Weichenstellung 4 – technologische Innovationen für carbon dioxide removal verstärken: Für die Rückholung von CO2 aus der Atmosphäre muss auch die Entwicklung technologischer Innovationen verstärkt werden. Studien zeigen die grundsätzliche Machbarkeit der CO2-Abscheidung aus industriellen Prozessen und der Speicherung von CO2 im Boden. Auch die Nutzung von Luftfiltern wäre möglich, um Treibhausgase aus der Atmosphäre zu entfernen. Gerade in der Übergangsphase der Energietransformation sind solche Technologien wichtig. Allerdings fehlt es an Investition in die Forschung und Entwicklung solcher Lösungen – sie sind derzeit zwar noch teuer, aber nach aktuellem Erkenntnisstand unvermeidlich, wenn das Zwei-Grad-Ziel eingehalten werden soll. Zuletzt haben sich die Nationalakademien der USA und Großbritanniens umfassend mit den Chancen und Risiken des CDR und von Geoengineering beschäftigt. Im »European Green Deal« spielt CDR allerdings eine untergeordnete Rolle. In Deutschland und der EU sind erhebliche Lücken zu schließen: in der Forschung zu technologischen CDR-Lösungen, bei Fragen der Risikobewertungen, der Akzeptanz und der Kosten der jeweiligen Optionen sowie letztlich auch zu angemessenen Ordnungsrahmen und Anreizen.
Das Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP) und das UN-Entwicklungsprogramm (UNDP) könnten zu Schlüsselinstitutionen werden, um weltweit besonders im Bereich der genutzten Natur angemessene CDR-Strategien zu initiieren und die Umsetzung zu überwachen. Dafür benötigen sie massive Unterstützung der UN-Mitgliedstaaten, zum Beispiel der EU, sowie die Bereitschaft der Weltbank und der regionalen Entwicklungsbanken, diesem Kurs zu folgen. Zudem müssen die G 7 und die G20 das Feld der negativen Emissionen als eine zentrale Dimension des Klima- und Naturschutzes bearbeiten.
Eine gerechte Verteilung der Lasten ermöglichen
Für die Bewältigung dieser Herausforderungen bedarf es eines langfristig verlässlichen, sektorübergreifenden, kosteneffektiven und sozial gerechten Rahmens.
Weichenstellung 5 – CO2-Preis als zentrales Gestaltungsinstrument einsetzen und damit für nationale und europäische Klimagerechtigkeit sorgen: Um die nationalen und europäischen Klimaziele zu erreichen, müssen die CO2-Preise nach 2026 stark steigen. Neueste Modellrechnungen gehen für den Strom- und Industriesektor von einem CO2-Preis von 130 bis 300 Euro aus. Ohne eine sozial gerechte Ausgestaltung, die einkommensschwache Haushalte stärker entlastet, lässt sich diese Klimapolitik nicht durchsetzen.
So könnten die Einnahmen aus dem CO2-Preis den Bürgerinnen und Bürgern als Klimadividende zurückbezahlt werden. Diese bevorzugt keineswegs, wie oft befürchtet, die obere Mittelschicht. Denn einkommensstarke Haushalte verbrauchen mehr CO2 als einkommensschwache, weil sie in größeren Wohnungen leben und schwerere Autos fahren. Erhalten Emissionen also einen Preis, zahlen sie mehr. Werden die Einnahmen dann gleichmäßig an die Bürgerinnen und Bürger zurückgegeben, machen jene, die weniger CO2 verbraucht haben, unterm Strich einen Gewinn. Die Unterschiede zwischen Stadt und Land verschwinden fast vollständig. Fernpendler und Haushalte mit Ölheizung sind zwar etwas höher belastet, schneiden aber mit der Pro-Kopf-Rückerstattung immer noch deutlich besser ab als mit allen anderen Rückerstattungsoptionen. Die Klimadividende ist jedoch mit administrativen Hürden verbunden, die eine zeitnahe Umsetzung erschweren.
Aber auch kurzfristig sind Entlastungen umsetzbar: Finanziert man die Förderung der erneuerbaren Energien mit den Einnahmen aus der CO2-Bepreisung anstatt wie derzeit über eine Umlage auf den Strompreis für die Endverbraucher, wird der Strompreis sinken. Dadurch kann die Gesamtbelastung der ärmsten Haushalte nahezu auf null gedrückt werden. Zwar profitiert von einer Strompreissenkung zu zwei Dritteln die Wirtschaft, obwohl sie nur ein Drittel der CO2-Bepreisung im Verkehrs- und Gebäudebereich finanziert. Aber diese Schieflage verringert sich, wenn Haushalte in Zukunft mehr Elektroautos und Wärmepumpen nutzen und entsprechend stärker von niedrigeren Strompreisen profitieren. Die Verminderung der Stromsteuer führt zu einer weiteren Absenkung des Strompreises.
Zusätzlich zur CO2-Bepreisung setzt die Bundesregierung vor allem auf Fördermaßnahmen. Gebäudesanierung, Subventionierung der Bahn, Prämien für Elektroautos und die Pendlerpauschale sind jedoch teuer. Eine umfassende Bewertung der Verteilungswirkungen der einzelnen Programme ist zwar schwierig, dennoch ist davon auszugehen, dass Steuererleichterungen und Förderprogramme wegen des höheren Grenzsteuersatzes eher vermögenderen Haushalten zugutekommen. So ist auch die Anhebung der Pendlerpauschale wenig effektiv, um die einkommensschwachen Haushalte auf dem Land zu entlasten. Selbst von einem einkommensunabhängigen Mobilitätsgeld profitieren vor allem Mittel- und Vielverdiener, da sich unter ihnen mehr Fernpendler befinden.
Förderprogramme sind dort sinnvoll, wo ein Preissignal allein nicht ausreicht, zum Beispiel um Forschung und Innovation in ausgewählten Sektoren oder Berufsqualifizierungsprogramme für die Transformation voranzutreiben. Es besteht jedoch die Gefahr eines regulativen Flickenteppichs. Ein CO2-Preis wirkt zielgerecht, ist transparent und generiert Einnahmen, die ausgleichend verteilt werden können. Allerdings werden vom Gesamtvolumen des Klimapakets von 62 Milliarden Euro bis zum Jahr 2023 insgesamt nur 25 Prozent für die direkte Entlastung der Haushalte aufgewendet, für Klimaschutzmaßnahmen und Förderprogramme dagegen 47 Milliarden Euro. Eine direkte Entlastung der Verbraucherinnen und Verbraucher kommt also bisher zu kurz.
Die wichtigste Stellschraube ist die rasche Dekarbonisierung des Stromsektors.
Weichenstellung 6 – Klimaschutz mit Chancen steigender Lebensqualität verbinden: Um in der Gesellschaft die Motivation für die notwendigen Veränderungen zu verstärken, muss Klimaschutz als Beitrag zu verbesserten Lebensbedingungen konzipiert und kommuniziert werden. CO2-Bepreisung, Energieeffizienzstandards, erneuerbare Energiesysteme, Wasserstoffwirtschaft und zirkuläre Ökonomie sowie wirksamer Naturschutz sind zentrale Elemente der Transformation, die jedoch nicht unmittelbar gesellschaftliche Handlungsbereitschaft erzeugen. Gesellschaftliche Legitimation setzt voraus, zu verdeutlichen, wie Klimaschutz mit Verteilungsgerechtigkeit, guter Arbeit, Gesundheit, lebenswerten Städten, Schutz der Biodiversität, internationaler Kooperation und Frieden zusammengeführt werden kann. Eine solche Klimapolitik setzt den Rahmen für die umfassende Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern und von Unternehmen aus allen Sektoren – hier müssen Forschung und Politik sichtbare Anreize und Akzente setzen.
Gesellschaftlicher Wandel – politische Gestaltung
Der Wandel zur Klimaneutralität bedeutet enorme Kraftanstrengungen und geht über politische und ökonomische Prozesse der schrittweisen Modernisierung weit hinaus.
Weichenstellung 7 – grundlegende und rasche Neuorientierungen in vielen Sektoren erfordern eine starke politische Führung: Studien zeigen, dass anspruchsvoller Klimaschutz nur gelingt, wenn in einer Vielzahl von Sektoren tiefgreifende Innovationen vorangebracht werden, , . In Deutschland, Europa und weltweit gilt, dass nahezu die gesamte Palette der bekannten Optionen der Dekarbonisierung in einem sehr engen Zeitfenster umgesetzt werden muss, wenn das Pariser Klimaabkommen noch eingehalten werden soll. Mit halbherzigem, selektivem, »maßvollem« und auf »Pilotvorhaben« abzielendem Klimaschutz wie in den vergangenen Dekaden scheitern Deutschland und Europa an ihren Klimazielen und daran, die globale Erwärmung auf unter zwei Grad zu begrenzen.
Für die nächsten zwei Legislaturperioden in Deutschland gilt: Wenn auch nur ein zentraler Sektor seine Klimaziele verfehlt, werden die ambitionierten kurz-, mittel- und langfristigen Klimaziele unerreichbar. Wirkungsvoller Klimaschutz wird also nur möglich, wenn er nicht nur vom Forschungs- und Umweltministerium, sondern von allen Ressorts der Bundesregierung kraftvoll, verlässlich und schnell vorangebracht wird. Dies setzt ein Kanzleramt voraus, das Klimaschutz zur zentralen Chefin- oder Chefsache macht. Klimaschutz erfordert starke politische Führung sowie Gestaltungs- und Durchsetzungskraft.
Sucht man nach Analogien für eine solche Zeitenwende, könnte man nach dem Zweiten Weltkrieg an die Westbindung Konrad Adenauers und die Einführung der sozialen Marktwirtschaft denken, die für die spätere Ostpolitik von Willy Brandt ein entscheidendes Fundament war. Der damalige politische Kraftakt wurde sukzessive von allen politischen Parteien akzeptiert und verfolgt. In solchen Zeitenwenden setzen fundamentale Richtungsentscheidungen und -änderungen den Rahmen für den politischen Wettbewerb um die besten Ideen und Lösungen. Auch nach der Neuausrichtung auf den Sozialstaat in den 60er-Jahren gab es weiter Debatten um seine sozialdemokratische, konservative oder liberale Ausgestaltung. Nun müssen Klima- und Ökosystemschutz zu einer Art Staatsräson werden.
Weichenstellung 8 – Planungs- und Gestaltungsprozesse durch Konzertierung beschleunigen: Was in den Phasen des Wandels schrittweise bearbeitet wird, muss durch enge Koordinierung, Verzahnung und Konzertierung zwischen politischen, ökonomischen, zivilgesellschaftlichen und wissenschaftlichen Akteuren vorangebracht werden. Ein Beispiel für die Herausforderungen in vielen Sektoren ist die Stahlindustrie: Sie muss jetzt milliardenschwere Investitionsentscheidungen für die Umstellung auf »grünen«, auf der Grundlage von Wasserstoff produzierten Stahl treffen. Die politischen Rahmenbedingungen, die dazu beitragen könnten, dass sich diese Investitionen amortisieren, existieren noch nicht und entstehen quasi parallel zu den industriellen Weichenstellungen. Die Unternehmen müssen auch auf den Aufbau umfangreicher Wasserstoffinfrastrukturen vertrauen, deren Planung kaum begonnen hat. Ohne internationale Wasserstoffpartnerschaften, die ebenfalls erst etabliert werden müssen, kann der Umbau der Stahlindustrie nicht gelingen. Die Forschung muss zudem noch viele Erzeuger-, Speicher- und Verteilungslösungen entwickeln, damit wasserstoffbasierte Industrieprozesse ökologisch und ökonomisch funktionieren.
Diese gleichzeitigen und voneinander abhängenden Entscheidungs-, Planungs- und Umsetzungsprozesse verlangen eine umfassende Konzertierung der beteiligten Akteure: Durch dichte Koordinierung, Kommunikation, Ausrichtung auf gemeinsame Zielkorridore und entschlackte Planungsprozesse kann auf allen Seiten Erwartungs- und Planungssicherheit entstehen. Es bedarf also nicht nur politischer Führungsfähigkeit und der Ausrichtung der gesamten Bundesregierung auf den Klimaschutz, vielmehr müssen »sektorale Gesellschaftsverträge« und Akteursallianzen des Wandels entstehen, um den Richtungswechsel mit der notwendigen Geschwindigkeit voranzubringen. Die gute Nachricht ist, dass wir in Deutschland viel Erfahrung damit haben, Konzertierung und die Zusammenarbeit zwischen wirtschaftlichen, politischen, gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Akteuren auch international zu ermöglichen. Diese Potenziale müssen jetzt mobilisiert werden, und alle Akteure müssen dazu mehr beitragen, als gerade möglich erscheint.
Agenda für die 2020er-Jahre
- Internationale Kooperation für Klimaschutz und zur Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit rasch voranbringen
- Naturschutz und Klimaschutz müssen gemeinsam geplant, und institutionalisiertes Monitoring, Restoration und Regulation müssen erheblich ausgebaut werden
- Global die Transformation der Land-, Forst- und Fischereiwirtschaft stärken, um Klima- und Artenschutz sowie menschliche Ernährung und Entwicklung zu sichern
- Technologische Innovationen für carbon dioxide removal verstärken
- CO2-Preis als zentrales Gestaltungsinstrument einsetzen und damit für nationale und europäische Klimagerechtigkeit sorgen
- Klimaschutz mit Chancen steigender Lebensqualität verbinden
- Grundlegende und rasche Neuorientierungen in vielen Sektoren erfordern eine starke politische Führung
- Planungs- und Gestaltungsprozesse durch Konzertierung beschleunigen