Wir brauchen eine ­Willkommens­kultur für Innovationen

»Veränderungen«, so beschrieb es einst der französische Wissenschaftler Louis Pasteur, »begünstigen nur den, der darauf vorbereitet ist.« Heute – 200 Jahre nach der Geburt dieses Pioniers der Impfstoffentwicklung – wird wohl kaum jemand einen Mangel an Veränderungen beklagen. Nach knapp zwei Jahren in der Pandemie, mit einer sich immer stärker abzeichnenden Klimakrise und einer Digitalisierung, die nahezu jeden Aspekt von Wirtschaft und Gesellschaft verändert, fühlt es sich für viele von uns wie eine Zeitenwende an. Die Frage im Sinne Pasteurs ist dabei nur: Sind wir darauf vorbereitet? Und wenn nicht, was sollte eine neue Bundesregierung unternehmen, um das zu ändern?

Ich will in diesem Beitrag versuchen, Antworten zu skizzieren, aus meiner persönlichen Sicht und mit Blick auf die führende Rolle unseres Unternehmens, der Bayer AG, in den systemrelevanten Branchen Gesundheit und Ernährung. Die Transformation unserer Industrien in eine digitale und dekarbonisierte Zukunft steht dabei stellvertretend für den tiefgreifenden Wandel, der uns alle betrifft. Gerade für die Veränderungen in der Gesundheitswirtschaft, um die es hier besonders gehen soll, lohnt es sich dabei, auf die COVID-19-Pandemie zu schauen und die richtigen Schlüsse zu ziehen.

Gesundheit ist die Voraussetzung für Freiheit

Das beginnt mit der grundlegenden Feststellung: Gesundheit steht an erster Stelle. Wohl selten zuvor ist diese Erkenntnis so in unser individuelles wie kollektives Bewusstsein gerückt wie in den Jahren 2020 und 2021. Wir bekamen drastisch vor Augen geführt, dass Gesundheit die Voraussetzung für Freiheit darstellt – und buchstäblich für alles, was wir zuvor als selbstverständlich empfanden. In dieser Erfahrung liegt die Chance auf eine neue Perspektive. Früher haben wir Innovationen im Gesundheitswesen häufig auf die Kosten reduziert. Mit dem Blick von heute sollten wir sie auch als Investitionen in Lebensqualität und Wohlstand begreifen.

Unsere Debatten vermitteln oft den Eindruck, als gehe es nur darum, dass 80 Millionen Menschen klimaneutral leben können. Tatsächlich geht es um acht Milliarden.

Die nächste Lehre steckt in der Erfolgsgeschichte, die ­Özlem Türeci und Uğur Şahin von BioNTech geschrieben haben. Aus meiner Sicht eignet sie sich als Blaupause für andere große Herausforderungen: Wir haben erlebt, dass Forschung und Fortschritt Berge versetzen können, gerade wenn wir auch für neue Technologien offen sind. Wir haben gesehen, dass die globale Zusammenarbeit in Wissenschaft und Wirtschaft gesundheitliche Lösungen für alle hervorbringen kann. Şahin selbst sprach nach den Phase-III-Daten des Impfstoffs von einem »Sieg für die Innovation, Wissenschaft und weltweite Zusammenarbeit«. Genau darum geht es.

Dieser Erfolg kann ein Weckruf sein. Denn ehrlich gesagt mangelt es uns noch immer am Verständnis für Biotechnologie und an einem konsistenten politischen Rahmen, um Innovationen zu fördern. »Man kann sich nur wundern«, sagte einmal BioNTech-Investor ­Andreas Strüngmann, »dass Deutschland so wenig in neue Technologien investiert. Ausgerechnet Biotechnologie als eine der bedeutendsten Zukunftsindustrien ist ganz weit abgeschlagen.« Vor der Pandemie floss in den USA etwa 50-mal so viel Eigenkapital in die Biotechbranche wie in Deutschland. 2020 war es trotz BioNTech und CureVac noch immer fast 30-mal so viel. Eine neue Initiative für Wagniskapital gehört daher in den Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung.

Wir müssen größer denken

Auch für den Umgang mit Klimawandel und Digitalisierung gibt es Lehren aus der Pandemie. Sie lauten, vereinfacht gesagt: Wir müssen größer denken! Bei der Digitalisierung hat COVID-19 wie unter einem Brennglas unsere Defizite offenbart. Die digitale Infrastruktur und die digitale Vernetzung von Verwaltung und Schulen zählen dazu. Zudem haben wir am Beispiel der Kontaktverfolgung gesehen, welche digitalen Versäumnisse existieren. Mit Zettel und Stift erfasste Daten oder gar Ämter mit Faxgeräten können nicht dem digitalen Anspruch unseres Landes genügen. Hier müssen wir besser werden.

Auf der anderen Seite hat die Pandemie einen digitalen Schub ausgelöst. Nicht nur für Videokonferenzen, sondern auch für elementare Prozesse in unseren Branchen. Ein Beispiel: In der pharmazeutischen Forschung kann man mit Computermodellen simulieren, wie sich ein neues Medikament im Körper verhält. Das hilft uns, neue Arzneimittelkandidaten schneller zu entwickeln und in klinischen Studien gezielter zu untersuchen. Dank digitaler Technologien finden heute immer mehr klinische Studien virtuell statt, bei denen Patientinnen und Patienten nicht mehr zu Prüfzentren reisen, sondern zu Hause überwacht werden. Dazu hat die Pandemie massiv beigetragen und allgemein den Trend zur Telemedizin verstärkt.

Die Klimakrise schreitet voran. Der IPCC-Report und die extremen Wetterereignisse in diesem Sommer haben das einmal mehr verdeutlicht. Gleichzeitig haben wir in der Pandemie ein geradezu historisches Experiment erlebt und gesehen, was Einschränkungen bewirken. Weltweit wurden 2020 nahezu alle großen Veranstaltungen abgesagt sowie große Teile der Wirtschaft und der individuellen Mobilität heruntergefahren – und dennoch gingen die Emissionen nur um wenige Prozentpunkte zurück.

Meine Schlussfolgerung ist, dass Verhaltensänderungen bei Weitem nicht ausreichen. Es braucht mehr, um die Transformation zu stemmen. Wir benötigen neue Technologien, wissenschaftliche Durchbrüche und nachhaltige Geschäftsmodelle. Eine große Verantwortung dafür liegt bei Industrieunternehmen wie Bayer – aufgrund unserer Größe und wirtschaftlichen Stärke. Gleichzeitig müssen wir in Deutschland noch besser verstehen, dass es sich bei der Bekämpfung des Klimawandels um eine globale Aufgabe handelt. Unsere Debatten vermitteln oft den Eindruck, als gehe es nur darum, dass 80 Millionen Menschen klimaneutral leben können. Tatsächlich geht es um acht Milliarden.

Agenda für 2022

  • Von der neuen Bundesregierung muss ein klares Zeichen zum Aufbruch ausgehen. Wir brauchen neue Initiativen für mehr Forschungsförderung und Wagniskapital, eine bessere digitale Infrastruktur und Bildung.
  • Wir müssen Klimaneutralität und Wettbewerbs­fähigkeit zusammendenken. Nur mit erfolgreichen Unternehmen gelingt die Transformation.
  • Biotechnologie sollte als strategisch wichtig erkannt und gefördert werden. Die EU-Regulierung, auch der »Green Deal«, sollte gezielt auf Innovationen setzen.

Sind wir bereit für die Bio-Revolution?

Wir müssen größer denken, um auf die Veränderungen einer digitalen und dekarbonisierten Zeit vorbereitet zu sein und sie im globalen Wettbewerb zu gestalten. Klimawandel und Digitalisierung sind dabei keine losgelösten Megatrends, sondern beeinflussen sich gegenseitig, und häufig treiben gerade digitale Technologien neue ressourcenschonende Lösungen voran. Das gilt besonders in den Lebenswissenschaften, also der Forschung mit menschlichen und pflanzlichen Genen und Zellen.

In den Laboren weltweit sehen wir hier enorme wissenschaftliche Erfolge. Fortschritte in der Biologie und der künstlichen Intelligenz verschmelzen in einer Weise, die Fachleute als »Bio-Revolution« bezeichnen. Sie bietet das Potenzial, unser Verständnis von Gesundheit und Ernährung tiefgreifend zu verändern und zur Bewältigung globaler Herausforderungen beizutragen, von Pandemien bis zum Klimawandel. Der wissenschaftliche Kampf gegen COVID-19, vor allem die Geschwindigkeit, mit der das Genom des Virus sequenziert wurde, ist eng mit diesen Technologien verbunden.

Wie grundlegend dieser Wandel ist, lässt sich vielleicht am besten mit den Worten von Steve Jobs beschreiben. Er wurde 2011 nach bevorstehenden Disruptionen befragt und antwortete: »Die größten Innovationen des 21. Jahrhunderts werden an der Schnittstelle von Biologie und Technologie stattfinden. Es beginnt eine neue Ära.« Wir befinden uns mitten in der Transformation für diese neue Ära, und die besondere Chance liegt darin, dass grundlegende Technologien wie die Genom-Editierung Innovationen mit breiten Anwendungsfeldern vorantreiben.

Die Versprechen einer neuen Zeit

Was bedeutet das nun konkret für die pharmazeutische Industrie? Was heißt Nachhaltigkeit in der Gesundheit? Und wie verändert die digitale Transformation die Perspektiven für Patientinnen und Patienten? Auf diese Fragen gibt es drei grundlegende Antworten. Es sind die Versprechen einer neuen Zeit: erstens eine bessere medizinische Versorgung und persönliche Ertüchtigung des Einzelnen, zweitens mehr Zugangsmöglichkeiten für Menschen in Ländern mit kleinen und mittleren Einkommen sowie drittens eine neue und bessere Behandlung von Krankheiten.

Der erste Aspekt ist bereits weit fortgeschritten. Digitale Tools ermöglichen eine bequeme und umfassende individuelle Gesundheitsüberwachung, die zu schnelleren und genaueren Diagnosen führt. Sie bieten leichter zugängliche Lösungen, etwa für die Behandlung chronischer Erkrankungen. Die Politik hat bereits damit begonnen, die digitale Zukunft der Gesundheitsversorgung zu fördern und zu gestalten. Die nächste Bundesregierung sollte diesen Weg fortsetzen.

Individuelle Vorsorge und personalisierte Medizin

Doch individuelle Lösungen betreffen nicht nur Monitoring oder Arztbesuche, sondern auch Medikamente. Personalisierte Arzneimittel, die auf die jeweiligen Erkrankungen oder die genetische Veranlagung des Einzelnen zugeschnitten sind, können die Ergebnisse der Behandlung verbessern, die Verweildauer in Krankenhäusern verkürzen, die Verschwendung von Medikamenten verringern und Ressourcen sparen. Gezieltere Therapien mit neuen Ansätzen in der Zell- und Gentherapie lassen zudem hoffen, dass in Zukunft Krankheiten wie Parkinson, Hämophilie oder Mukoviszidose nicht nur besser therapiert, sondern vielleicht sogar geheilt werden können. Fortschritt und Innovation in diesen Bereichen sind angesichts der steigenden Nachfrage nach Gesundheit in einer immer älteren Bevölkerung in Deutschland und vielen Teilen der Welt von entscheidender Bedeutung.

Bei Bayer arbeiten wir an digitalen Gesundheitslösungen. Ein Beispiel ist unsere Partnerschaft mit der Plattform One Drop. Dort finden Menschen, die an Diabetes erkrankt sind, personalisiertes Coaching zur Verbesserung ihrer Gesundheit. Sie werden an die Einnahme ihrer Medikamente erinnert. Es gibt Tipps für einen gesunden Lebensstil und die Möglichkeit zum virtuellen Austausch. So ein ganzheitlicher Ansatz hilft Patientinnen und Patienten dabei, gesund zu bleiben oder zu werden. Nebenbei spart es Kosten für sie selbst, ihre Arbeitgeber und Versicherer.

Integrierte Gesundheitslösungen werden zu den Kernbestandteilen der Gesundheitsversorgung von morgen zählen. Sie ertüchtigen den Einzelnen und setzen auf ein lernendes System. Voraussetzung dafür ist das verantwortungsvolle Sammeln von Gesundheitsdaten, die dabei helfen, spezifische Krankheitsverläufe zu verstehen und Lösungen zu entwickeln. Individuelle Vorsorge und personalisierte Medizin werden zu einer Verringerung der Krankheitslast beitragen. Entsprechend wichtig ist die Förderung im Bereich Digital Health, für Bayer wie auch für die Bundesregierung.

Agenda für 2025

  • Mehr Digitalisierung im Gesundheitsbereich: verantwortungsvolle Erfassung und Integration von Gesundheitsdaten, Governance-Rahmen für die Sicherheit von Gesundheitsdaten und künstlicher Intelligenz.
  • Innovationsfreundliche EU-Regulierung von neuen gentechnischen Verfahren, zum Beispiel klimaresistenter Züchtungsverfahren in der Landwirtschaft.
  • Stärkung von internationalen Organisationen wie WHO oder WTO, etwa zur besseren Vorbeugung gegen Pandemien und zum Abbau von Handelsbarrieren.

Nachhaltigkeit bedeutet: Gesundheit für alle

Das zweite Versprechen lautet: Mehr Menschen sollen Zugang zu medizinischer Versorgung bekommen. Bei Bayer haben wir seit 2019 die sozialen Nachhaltigkeitsziele in allen unseren Geschäftsbereichen darauf ausgerichtet, weil wir erkannt haben, dass wir mithelfen können, die Innovationslücke in Ländern mit kleinen und mittleren Einkommen zu schließen. In unserer Agrarsparte wollen wir bis 2030 100 Millionen Kleinbauern dabei unterstützen, ihre Ernten zu steigern. Im Gesundheitsbereich wollen wir bis 2030 100 Millionen Frauen in Entwicklungsländern Zugang zu moderner Familienplanung verschaffen. Und wir wollen das globale Problem einer fehlenden Gesundheitsversorgung angehen, indem wir bis 2030 für 100 Millionen Menschen weltweit den Zugang zu unseren alltäglichen Gesundheitsprodukten erweitern. Das betrifft beispielsweise die Versorgung von Müttern und Kindern mit Mikronährstoffen, die wir gemeinsam mit der NGO Vitamin Angels unterstützen.

Es geht längst nicht mehr darum, ob Veränderungen stattfinden, sondern darum, wie wir diese konkret gestalten.

Grundsätzlich führt der Gedanke der Nachhaltigkeit im Gesundheitssektor zu einem möglichst inklusiven Ansatz. Der Anspruch heißt: Gesundheit für alle und nicht für wenige. Das geht eindeutig aus den Zielen für nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen (SDGs) hervor, die uns für ein umfassendes Verständnis von Nachhaltigkeit als Referenz dienen sollten. Auch hier erweist sich die Pandemie mit der zentralen Aufgabe einer globalen Verteilung von Impfstoffen als Vorbote einer neuen Zeit.

Zurück zum Urgedanken der Medizin

Wir erleben derzeit einen atemberaubenden Fortschritt in den Forschungslaboren. Die disruptive Kraft neuer Technologien, die den Siegeszug der Digitalisierung kennzeichnet und viele Industrien erfasst hat, verändert auch die Art, wie Patientinnen und Patienten künftig behandelt werden können. Es bringt uns zum Urgedanken der Medizin und dem lateinischen Ursprung des Wortes zurück, dass man Krankheiten nicht nur behandeln, sondern auch tatsächlich heilen kann.

Viele Unternehmen der Branche arbeiten bereits an medizinischen Lösungen, die früher undenkbar schienen. Bei Bayer haben wir vor sechs Jahren entschieden, eine eigene Einheit zu schaffen, die in potenziell bahnbrechende Innovationen wie Zell- und Gen­therapie investiert. Das betrifft zum Beispiel die bisher unheilbare Nervenkrankheit Parkinson. 2016 haben wir zusammen mit anderen die Firma BlueRock gegründet, um an einer Stammzellentherapie gegen Parkinson zu forschen. Heute sind wir so weit, dass zwei klinische Studien mit vollkommen neuen Behandlungsansätzen gegen Parkinson laufen, eine davon mit der Technologie von BlueRock.

So kann die industrielle Transformation gelingen

Selbstverständlich ist die Perspektive der Gesundheitsbranche in die allgemeine Transformation zu einer klimaneutralen Wirtschaft eingebettet. Die größte Verantwortung für uns als Unternehmen liegt dabei in der Landwirtschaft, die insgesamt knapp ein Viertel der Treibhausgasemissionen weltweit verursacht. Doch auch der Pharmasektor trägt in erheblichem Maße zu den aktuellen Emissionen bei, vor allem durch Produktion, Lagerhaltung und Transport von Medikamenten.

Wie viele andere Unternehmen arbeiten auch wir daran, das zu ändern, sowohl für unseren eigenen Betrieb als auch mit unserem Einfluss auf Lieferanten und Kunden. Ich will unseren Ansatz zur Dekarbonisierung in ein paar Punkten skizzieren, auch weil ich der Meinung bin, dass Aspekte davon für die Wirtschaft als Ganzes hilfreich sein können:

Das beginnt bei klaren Zielen, die am Pariser Klimaabkommen ausgerichtet sind. Wir haben uns verpflichtet, bis 2030 in unserer eigenen Produktion klimaneutral zu sein. Bis spätestens 2050 wollen wir eine Netto-Treibhausgasemission von null inklusive Lieferketten erreichen.

Die Nachhaltigkeitsziele sind in unseren finanziellen Anreizsystemen berücksichtigt, aktuell zu 20 Prozent in der langfristigen Bezahlung von Management und Vorstand. Zudem existiert ein interner CO₂-Preis von 100 Euro je Tonne, der in die Kalkulation jeder Neuinvestition einfließt. Beides trägt dazu bei, die Dekarbonisierung systematisch voranzutreiben.

Bis 2030 wird Bayer ausschließlich Strom aus erneuerbaren Quellen beziehen. Zusammen mit Investitionen in Energieeffizienz wird dies unsere Emissionen gegenüber 2019 um 42 Prozent senken. Schon 2020 haben wir langfristige Lieferverträge abgeschlossen und Standorte in mehreren Ländern, etwa in Mexiko oder Spanien, komplett auf grüne Energie umgestellt.

Es liegt in der DNA der forschungsintensiven deutschen Industrie, auf Innovationen zu setzen. Diese Stärke sollte uns auch auf dem Weg in das klimaneutrale Zeitalter leiten. Dafür brauchen wir die digitale Transformation und eine Regulierung, die Innovationen fördert und die Wettbewerbsfähigkeit stärkt. Damit können wir in Deutschland und Europa die Spitzentechnologie weiterentwickeln, die Wertschöpfung steigern und mit neuen Lösungen weltweit zur Erreichung der SDGs beitragen.

Protektionismus gefährdet unsere Handlungsfähigkeit

Es geht längst nicht mehr darum, ob Veränderungen stattfinden, sondern darum, wie wir diese konkret gestalten. Unternehmen sollten dabei dem nachhaltigen Imperativ folgen und Geschäftsmodelle an den planetaren Grenzen ausrichten. Die Politik sollte Klimaneutralität und Wettbewerbsfähigkeit zusammendenken und gezielt Innovationen fördern. Private und öffentliche Forschungsinvestitionen müssen massiv ausgebaut und an Dekarbonisierung und Digitalisierung ausgerichtet werden.

All dies sollte weiterhin in internationaler Arbeitsteilung geschehen. Darin liegt wohl die größte Herausforderung für die kommenden Jahre. Denn Abschottung und Nationalismus schaden letztlich allen und gefährden die globale Handlungsfähigkeit. Das betrifft nicht nur den Protektionismus. Auch die politische Forderung, vor allem im medizinischen Bereich regionale Produktionskapazitäten vorzuhalten, würde unser funktionierendes System schwächen. Nach der Pandemie ist klar, dass globale Lieferketten resilienter werden müssen, also etwa in kritischen Bereichen mehr regionale Diversifizierung gebraucht wird. Zudem ist es nachvollziehbar, wenn Regierungen Produkte zur gesundheitlichen Grundversorgung wie etwa Masken als Vorräte anlegen. Aber eine Nationalisierung von Lieferketten würde unnötige, im Ergebnis wertlose Doppelstrukturen und hohe Investitionen verursachen, die für den Umbau der Wirtschaft und den Klimaschutz dringend gebraucht werden.

Genauso wichtig erscheint mir, dass wir alle zu einem gesellschaftlichen Klima beitragen, das von Aufbruch und Fortschritt geprägt ist. Wir benötigen einen neuen gesellschaftlichen Konsens, die Zukunft zu gestalten. Beim Klimawandel bedeutet das, mehr zu erfinden und weniger zu verbieten. Bei der Digitalisierung bedeutet das, nicht immer nur den Datenschutz zu betonen, sondern auch den Datenschatz in unseren Händen zu sehen. Anders gesagt: Wir brauchen in Deutschland eine Willkommenskultur für Innovationen! Dann werden wir die großen Veränderungen unserer Zeit meistern und sie im Sinne von Louis Pasteur auch gestalten können.

Agenda für 2030

  • Konsistente Klimapolitik mit steigendem CO₂-Preis und ausreichend Strom aus erneuerbaren Energien, damit Unternehmen einen klaren Rahmen haben, um ihre Klimaziele zu erfüllen.
  • Kontinuierliche Eindämmung protektionistischer Bestrebungen. Das funktionierende System globaler Lieferketten muss aufrechterhalten und resilienter gegen externe Schocks werden.
  • Wissenschaftsbasiertes globales Regulierungsumfeld, beispielsweise für Arzneimittel, mit einer stärkeren Harmonisierung zwischen Regionen und Ländern.

Werner Baumann, geb. 1962, arbeitet seit mehr als 33 Jahren für die Bayer AG. Nach seinem Berufseinstieg 1988 diente er dem Unternehmen in unterschiedlichen Rollen und Ländern, seit 2016 als Vorstandsvorsitzender. Er hat die Transformation von Bayer zu einem Life-Science-­Unternehmen mit führenden Geschäften in Gesundheit und Ernährung an mehreren Stellen maßgeblich vorangetrieben. 2020 übernahm er zusätzlich die Rolle des Chief Sustainability Officer.